„Den hier vorliegenden Essay über die Zeicheninstallationen des chinesischen Künstlers Xu Bing habe ich nicht als Sinologe mit den damit verbundenen Ambitionen geschrieben, sondern ausgehend von bestimmten Positionen der Auseinandersetzung mit zeitgenössischer Kunst und Literatur. Das erste Mal begegnete ich seinem Werk auf einer Ausstellung in Berlin im Jahr 2004, als ich bereits drei Jahre in China tätig war. Ich bin damals in dieses Land gekommen, ohne die Sprache zu verstehen und ohne die Zeichen lesen zu können, womit sich für mich die besondere Erfahrung eines ‚sekundären‘ Analphabetismus und zugleich einer anfangs völligen ‚Sprach(en)losigkeit‘ verband, die ich jedoch mit Hilfe meiner Muttersprache und der theoretischen Begriffe, die mir aus anderen Kontexten vertraut waren, reflektieren konnte. Was damals ganz besonders mein Interesse weckte, war, dass Xu Bings Zeicheninstallationen genau mit dieser Erfahrung spielen. Zum einen zeigen sie, dass jeder, auch derjenige, der glaubt, die vertraut erscheinenden Zeichen ohne Weiteres lesen zu können, in Wahrheit ‚illiterat‘ sein kann; zum anderen lassen sie uns als Aha-Erlebnis Zeichen entziffern, von denen wir auf den ersten Blick überhaupt nicht geglaubt hätten, dass wir sie je verstehen könnten. Auf diese Weise inszenieren sie zunächst eine ‚Befreiung‘ vom Sinn (wie in den „Büchern des Himmels“) und konfrontieren uns mit der Leere des Nichtsinns, um uns dann das Hereinbrechen des Sinns vor Augen zu führen (in der „Square Word Calligraphy“), wenn nämlich Zeichen plötzlich lesbar werden, sobald man die Ausgangsbedingungen, unter denen man sie betrachtet, verändert. Meine langjährige Beschäftigung mit China und seiner Kultur wurde seitdem immer auch von den Kunstwerken Xu Bings begleitet, woraus sich ein ganz besonderer Bezug zu ihnen herstellte, der sich über die Jahre in einer Reihe von Beiträgen, die sich mit verschiedenen Installationsprojekten und Kunstwerken beschäftigten, niederschlug.“ (Aus dem Vorwort)

Arne Klawitter
Prof. Dr. Arne Klawitter studierte Germanistik, englische und nordamerikanische Literatur sowie Philosophie an der Universität Rostock mit Studienaufenthalten in Glasgow, Berkeley und Nantes und wurde 2001 mit einer Arbeit über Michel Foucaults Literaturontologie promoviert. Von 2008 bis 2013 war er Associate Professor an der Universität Kyoto. Nach der Habilitation 2012 in Münster trat er im Frühjahr 2013 eine Professur für Neuere deutsche Literatur an der Waseda-Universität in Tokyo an.
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