Blockierte Politik
Band 60

Blockierte Politik

Ursachen und Folgen von Divided Government in Deutschland

Aus der Reihe

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inkl. gesetzl. MwSt.

Beschreibung

Details

Einband

Taschenbuch

Erscheinungsdatum

10.11.2008

Verlag

Campus

Seitenzahl

223

Maße (L/B/H)

21.4/14.4/1.8 cm

Beschreibung

Details

Einband

Taschenbuch

Erscheinungsdatum

10.11.2008

Verlag

Campus

Seitenzahl

223

Maße (L/B/H)

21.4/14.4/1.8 cm

Gewicht

295 g

Auflage

1. Auflage

Sprache

Deutsch

ISBN

978-3-593-38731-4

Weitere Bände von Schriften des Max-Planck-Instituts für Gesellschaftsforschung Köln

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Kapitel 1
Der Bundesrat als Blockadeinstrument

In Zeiten einer wirtschaftlichen und politischen Krise sucht man gern nach Schuldigen. Als ein zuverlässiger Kandidat für die in den vergangenen Jahren diagnostizierte "deutsche Malaise" muss immer wieder der Föderalismus herhalten. Kritikpunkte am deutschen Föderalismus lassen sich schnell fi nden: Intransparente Entscheidungsstrukturen erschweren die Zuordnung politischer Verantwortung und leisten dem Glaubwürdigkeitsverlust der politischen Institutionen Vorschub. Steuergelder werden in einem System der Kleinstaaterei sinnlos verschwendet. Ein Dauerwahlkampf mit bis zu sechzehn Landtagswahlen innerhalb einer Legislaturperiode hält nicht nur das politische Spitzenpersonal von der Arbeit ab, sondern trägt zur allgemeinen politischen Paralyse bei. Doch die Hauptanklage zielt zweifellos auf die weitreichenden Rechte der Länder bei der Gesetzgebung. Diese führen, so der allgemeine Tenor, insbesondere bei divergierenden Mehrheiten in Bundestag und Bundesrat zu Reformblockaden. Die Rolle des Bundesrates müsse deshalb mindestens "neu defi niert" werden, fordert beispielsweise Roman Herzog. Andere Stimmen sind nicht so zurückhaltend und fordern gar die Abschaffung "dieses Monstrum[s]".

Die scharfe öffentliche Kritik an der Funktionsweise des deutschen Föderalismus und insbesondere an den Mitwirkungsrechten des Bundesrates bei der Gesetzgebung ist ein relativ neues Phänomen. In den ersten Jahren der Bundesrepublik führte der Bundesrat eher ein Schattendasein. Von den Medien und der Bevölkerung relativ unbeachtet, wurde das Gremium vor allem im eigenen Selbstverständnis als Ort sachlicher Entscheidungen zur Wahrung von Länderinteressen angesehen (Laufer 1970: 321). Daran änderten auch gelegentliche, auf Parteiebene geführte Auseinandersetzungen zwischen Konrad Adenauer und dem Bundesrat nichts (Neunreither 1959).

Zu einer Zäsur kam es erst mit der Wahl Willy Brandts zum Bundeskanzler
der sozial-liberalen Koalition am 21. Oktober 1969. Erstmalig richteten sich die
Augen der Öffentlichkeit auf die parteipolitische Zusammensetzung der Län-
1 Roman Herzog im Interview mit der Berliner Morgenpost, 18. Februar 2002.
2 Wilhelm Hennis, zitiert nach Darnstädt (2003: 43).
14 K A P I T E L 1
derkammer, in der die oppositionelle CDU/CSU über eine knappe Stimmenmehrheit verfügte - ein Novum in der deutschen Politik. Dass die Opposition daran dachte, diese Mehrheit auch tatsächlich einzusetzen, machten zahlreiche Politiker schnell deutlich. So erklärte 1970 der damalige Vorsitzende der CDU, Kurt Georg Kiesinger: "Ich sehe im Bundesrat während dieser Legislaturperiode in der Tat ein wichtiges Instrument der Opposition. Wir haben eine solche Mehrheit. … Und wir werden diese Mehrheit selbstverständlich benützen." Und tatsächlich sollte diese neue Konstellation sowohl der Regierung Brandt als auch der Regierung Schmidt erhebliche Schwierigkeiten bereiten.

Was damals vielleicht noch als Ausnahmefall oder "historischer Unfall" angesehen werden konnte, hat sich in der Zwischenzeit schon fast zur Regel etabliert. Seit 1970 sind die Zeiträume, in denen eine Regierung über eine eigene Mehrheit im Bundesrat verfügt, selten geworden. Zumeist werden divergierende Mehrheitsverhältnisse sehr kritisch betrachtet. Parteipolitisch motivierte Blockade, Verzögerung von Gesetzen, ineffi ziente Kompromisslösungen, fehlende Handlungsfähigkeit der Regierung, institutionelle Konflikte, fehlende Zurechenbarkeit politischer Verantwortung - die Beschwerden glichen sich, egal ob eine SPD- oder eine CDU/CSU-geführte Regierung mit einem oppositionellen Bundesrat regieren musste. Kein Wunder, dass es immer wieder zu einer breit angelegten Debatte um die Reform der bundesstaatlichen Ordnung kam. Der Unmut war schliesslich auch bei den politischen Akteuren so gross, dass ernsthafte Reformbemühungen eingeleitet wurden. Die Grosse Koalition verabschiedete 2006 mit der "Föderalismusreform I" eine umfassende Grundgesetzänderung, die auch ganz explizit die mit divergierenden Mehrheiten assoziierten Probleme verringern sollte.

In der deutschen Politikwissenschaft wird zunehmend die Problematik unterschiedlicher parteipolitischer Mehrheitsverhältnisse unter der Bezeichnung "Divided Government" diskutiert (Czada 2002; Höreth 2007; Margedant 2003; Scharpf 1999, 2005b; Sturm 2001a; Wagschal/Grasl 2004). Dieser Begriff stammt aus der amerikanischen Politikwissenschaft und bezeichnet dort eine Situation, in der die Exekutive (die Präsidentschaft) und die Legislative (der Kongress, bestehend aus Senat und Repräsentantenhaus) von unterschiedlichen Parteien dominiert werden. Umgekehrt spricht man von "Unified Government", wenn die Präsidentschaft und die Mehrheit in beiden Häusern des Kongresses in der Hand einer Partei liegen. Das Konzept von Divided Government lässt sich auf unterschiedliche Regierungsformen, so auch auf parlamentarische oder semipräsidentielle Regierungsformen übertragen (siehe Laver/Shepsle 1991; Elgie 2001a). Im deutschen Kontext wird in der Regel von Divided Government gesprochen, wenn in Bundestag und Bundesrat unterschiedliche parteipolitische Mehrheiten vorliegen (Sturm 2001: 167).

Seit dem Aufruf von Sundquist (1988), Theorien zur Funktionsweise von Divided Government zu entwickeln, nimmt die Diskussion um die Ursachen und Folgen dieses Phänomens in der amerikanischen Politikwissenschaft einen breiten Raum ein. Ich beabsichtige, Erkenntnisse und Theorien, aber auch eine Reihe unbeantworteter Fragen der amerikanischen Debatte zu nutzen, um neue Impulse für die Analyse von Unified- und Divided-Government-Konstellationen in Deutschland zu gewinnen. Ich werde mich dabei an der oben geschilderten Konzeption von Divided und Unifi ed Government für das deutsche Regierungssystem orientieren. Gleichwohl wird sich dabei herausstellen, dass diese einfache dichotome Unterscheidung für das deutsche Regierungssystem (möglicherweise aber auch für andere politische Systeme) unzureichend ist. Die Rolle des Bundesrates und damit einhergehend auch Unified- und Divided-Government-Konstellationen werden in der deutschen Politikwissenschaft aus ganz unterschiedlichen Blickwinkeln analysiert (vgl. hierzu auch Kapitel 3.1). Inwieweit kann und soll dieses Buch Neues zur wissenschaftlichen Debatte beitragen? Ich möchte in diesem Zusammenhang drei wesentliche Punkte herausstellen.

Erstens beleuchte ich erstmalig umfassend nicht nur die Folgen, sondern auch die Ursachen unterschiedlicher Mehrheitskonstellationen. Unter welchen Bedingungen Divided-Government-Konstellationen auftreten und ob ihre Häufung in den vergangenen Jahrzehnten zufällig oder systematisch bedingt ist, wurde bisher in der deutschen Debatte, wenn überhaupt, nur am Rande thematisiert. Im Gegensatz dazu wird in der amerikanischen Politikwissenschaft sehr viel häufiger und umfangreicher über die Ursachen von Divided Government diskutiert (für eine Zusammenfassung siehe Fiorina 2003, Kapitel 4 und 5). Denn, so die Argumentation, bevor man sich mit Konsequenzen von Divided Government befasst oder gar über eine grundlegende Reform zur Vermeidung der daraus vermeintlich resultierenden negativen Konsequenzen diskutiert, sollte man sich sehr genau über die Hintergründe dieser Entwicklung im Klaren sein: "Only if we understand how we have gotten to where we are can we predict where we will go if we tinker with our institutions and political processes" (Fiorina 2003: 5). Ähnliche Argumente begründen aber auch für den deutschen Fall die Notwendigkeit, sich mit den Ursachen von Divided Government auseinanderzusetzen. Erst wenn fundiert abgeschätzt werden kann, welche Ursachen dem Phänomen zugrunde liegen, kann man sich Gedanken darüber machen, an welchen institutionellen Stellschrauben mögliche Reformen ansetzen sollten, die mögliche negative Konsequenzen von Divided Government - sofern es diese überhaupt gibt - verhindern können.
  • Blockierte Politik
  • Inhalt

    Danksagung

    Kapitel 1
    Der Bundesrat als Blockadeinstrument

    Kapitel 2
    Divided Government in Deutschland: Eine Ursachenanalyse

    2.1 Landtagswahlen im Schatten der Bundespolitik:
    Erklärungsansätze
    2.1.1 Das empirische Phänomen: Stimmenverluste für die Regierungsparteien und Gewinne der Opposition
    2.1.2 Erklärungsansätze
    2.1.3 Einschätzungen und Konsequenzen für den deutschen Fall
    2.2 Landtagswahlen im Schatten der Bundespolitik: Ein empirischer Test
    2.2.1 Die abhängige Variable: Stimmenentwicklung von Regierung und Opposition
    2.2.2 Die unabhängigen Variablen: Thesen
    2.2.3 Kontrollvariablen und weiterführende Überlegungen
    2.2.4 Modell und Datengrundlage
    2.2.5 Ergebnisse der Regressionsanalysen
    2.2.6 Stärke der Stimmenverluste und -gewinne für Regierung und Opposition in Landtagswahlen

    2.3 Die Entwicklung der Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat
    2.3.1 Mehrheitsverhältnisse in der sozial-liberalen Koalition 1969 bis 1982
    2.3.2 Mehrheitsverhältnisse in der CDU/CSU-FDP-Koalition 1982 bis 2002
    2.3.3 Mehrheitsverhältnisse in der rot-grünen Koalition 1998 bis 2005
    2.3.4 Zusammenfassung

    2.4 Fazit: Gibt es einen systematischen Trend zu Divided Government in Deutschland?

    Kapitel 3
    Konsequenzen von Divided Government in Deutschland

    3.1 Theoretische Bezugspunkte
    3.1.1 Die Theorie der Politikverflechtung und die "Politikverflechtungsfalle"
    3.1.2 Die Strukturbruchthese
    3.1.3 Die Vetospielertheorie
    3.1.4 Das Handlungsintervall-Modell
    3.1.5 Empirische Implikationen: Aussagekraft und Grenzen der Theorien

    3.2 Empirische Befunde
    3.2.1 Politikblockaden I: Am Veto des Bundesrates gescheiterte Gesetzgebungsverfahren
    3.2.2 Politikblockaden II: Anzahl und Wichtigkeit verabschiedeter Gesetze
    3.2.3 Dauer der Gesetzgebung
    3.2.4 Vermittlungsverfahren
    3.2.5 (Fehlende) empirische Befunde: Ursachen und Implikationen für die weitere Forschung

    3.3 Legislative Selbstbeschränkung bei Divided Government

    3.4 Implikationen und empirische Evidenz
    3.4.1 Hypothesen
    3.4.2 Kontrollvariablen
    3.4.3 Datensatzbeschreibung und Operationalisierung der Variablen
    3.4.4 Datenanalyse

    3.5 Zusammenfassung

    Kapitel 4
    Die Föderalismusreform I: Prognosen über die Auswirkungen einer lange umkämpften Reform

    4.1 Die Föderalismusreform I
    4.1.1 Entstehungsgeschichte
    4.1.2 Die Eckpunkte der Reform

    4.2 Auswirkungen der Reform in Hinblick auf Ursachen von Divided-Government-Konstellationen

    4.3 Auswirkungen der Reform in Hinblick auf Konsequenzen von Divided-Government-Konstellationen
    4.3.1 Erweiterte Handlungsmöglichkeiten der Bundesregierung durch verringerte Zustimmungstatbestände?
    4.3.2 Ist eine deutliche Reduktion der Zustimmungspflicht realistisch?
    4.3.3 Erste empirische Befunde

    4.4 Zusammenfassung und Bewertung der Ergebnisse

    Kapitel 5
    Politikblockaden: Ursachen und Ausblicke

    5.1 Wesentliche Ergebnisse

    5.2 Politikimplikationen

    5.3 Wissenschaftliche Implikationen und Forschungsperspektiven

    Anhang: Operationalisierung der Variablen

    Abbildungen und Tabellen

    Literatur