Die Herrschaft der Zahlen
Band 15

Die Herrschaft der Zahlen

Zur Kalkulation des Sozialen in der kapitalistischen Moderne

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Beschreibung

Details

Einband

Taschenbuch

Erscheinungsdatum

29.11.2012

Verlag

Campus

Seitenzahl

272

Maße (L/B/H)

21.3/14.1/2 cm

Beschreibung

Details

Einband

Taschenbuch

Erscheinungsdatum

29.11.2012

Verlag

Campus

Seitenzahl

272

Maße (L/B/H)

21.3/14.1/2 cm

Gewicht

346 g

Auflage

1. Auflage

Sprache

Deutsch

ISBN

978-3-593-39312-4

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Einleitung

Theorien der Moderne scheinen ebenso wie Theorien des Kapitalismus ohne einen adäquaten Begriff der Kalkulation auszukommen. Das ist zunächst erstaunlich, weil zentrale kapitalistische und moderne Institutionen wie Markt, Staat und Organisation ohne kalkulative Praktiken nicht vorstellbar sind (vgl. Hopwood und Miller 1994; Porter 1995; Power 1997; Desrosières 2005). Noch erstaunlicher wird dies vor dem Hintergrund der soziologischen Theoriegeschichte, insofern bereits Karl Marx, Werner Sombart und Max Weber ökonomischen Zahlengebrauch in Form der doppelten Buchführung beziehungsweise der rationalen Kapitalrechnung für ein konstitutives Merkmal des modernen Kapitalismus hielten. Die Entwicklung einer Soziologie der Kalkulation sieht sich jedoch der Schwierigkeit einer langen Unterbrechung in der theoretischen Auseinandersetzung mit kalkulativen Praktiken in Wirtschaft und Gesellschaft gegenüber. Scheinbar, so Miller (2005: 30), sind die Soziologen »von einem Terrain verbannt worden, das von offenbar komplexen quantitativen Techniken besiedelt wird, die sie bereitwillig als gesellschaftlich beziehungsweise gesellschaftspolitisch neutrale Methoden bar jeden soziologischen Interesses akzeptierten«. Und so lassen sich heute nicht mehr als »rudimentäre Ansätze einer Soziologie kalkulativer Praktiken« (ebd.: 31) erkennen.

In der neuen Wirtschaftssoziologie (Smelser und Swedberg 1994; Maurer 2008; Beckert und Deutschmann 2009), welche sich vordringlich mit dem Handeln ökonomischer Akteure, der Konstitution von Märkten und ihrer gesellschaftlichen Einbettung beschäftigt, fehlt es bislang an einer kritischen Diskussion kalkulativer Praktiken als eines konstitutiven Aspekts der Hervorbringung von Unternehmen und Märkten. Die Soziologie hat sich im Rahmen der Kapitalismusanalyse zwar immer schon und vor dem Hintergrund der aktuellen, finanzmarktinduzierten Krise sehr intensiv mit der Institution und der historisch-konkreten Ordnung von Märkten auseinandergesetzt. Gleichwohl beginnt sich in Deutschland eine in ihrer Begrifflichkeit und ihren theoretischen Bezügen eigenständige Soziologie der Kalkulation gerade erst zu entfalten. Mit Ausnahme der breit angelegten Untersuchungen Vollmers (2003a und 2003b) liegt der Schwerpunkt der einschlägigen Arbeiten in der Finanzsoziologie sowie der Mathematiksoziologie (Heintz 1993, 2000a und 2000b). Einige der speziell für die Industrie- und Wirtschaftssoziologie grundlegenden Analysedimensionen: die Entwicklung der Arbeit, Fragen von Kontrolle und Herrschaft, des Zusammenhangs von Organisa­tion, Rationalisierung und Lebensführung, wurden bislang noch kaum aus der Perspektive des organisierten Zahlengebrauchs thematisiert. An dieser Lücke setzt das vorliegende Buch an. Es fragt danach, was praktisch gewonnen und theoretisch noch zu gewinnen ist, wenn die Schnittstelle der organisatorischen und individuellen Planung von Erwerbsbiografien mit Hilfe kalkulativer Praktiken strukturiert und beobachtet wird. Kalkulation wird hier also zunächst empirisch als eine Form der Organisation unsicherer Arbeitszukünfte untersucht. Sie dient nicht allein – wie in grossen Teilen der unternehmerischen Rechnungslegung – der Darstellung und Legitimation vergangener Entscheidungen, sondern vor allem der Erzeugung stabiler Erwartungserwartungen unter Bedingungen ökonomischer und gesellschaftlicher Flexibilisierung. Im untersuchten Feld der Personalentwicklung wird den Erwartungen und Ansprüchen der Akteure in Hinblick auf unsichere Erwerbszukünfte mittels »soziokalkulativer« Praktiken eine Form gegeben. Durch diese Parallelisierung der Zukunftserwartungen der Akteure wird ein gemeinsames Handeln auf die Zukunft sicher nicht festgeschrieben – aber es wird wechselseitig beobachtbar, wahrscheinlicher und also »berechenbarer«.

Dass in dieser Arbeit die »Kalkulation des Sozialen« im Mittelpunkt steht, ist auf die fundamentale Verschiebung der Wertbasis des gegenwärtigen Kapitalismus zurückzuführen. Mittels traditioneller Kalkulations- und Bilanzierungsmethoden nur schwer fassbare Wertgrössen, insbesondere das Wissen und die Kompetenzen der Subjekte, werden zur Grundlage von Konkurrenz und Profit – in dieser Einschätzung treffen sich so unterschiedliche Ansätze wie die euphorische Managementlehre eines Peter F. Drucker und die kritische Gesellschaftstheorie eines André Gorz. Diese auf der Ebene von Wirtschaftstheorie und Wirtschaftspolitik unter dem Begriff der »intangible economy« (Eustace 2000, 2003) diskutierte These wird in der Soziologie seit längerem und kontrovers als »Wissensgesellschaft« thematisiert (vgl. Konrad und Schumm 1991; Drucker 1993; Stehr 1994; Nonaka und Takeuchi 1995; Stewart 1997; Willke 1998a und 1998b). In einem von Wissen und Innovation bestimmten Kapitalismus werden die sozialen und kulturellen Kapitalien gegenüber dem im engeren Sinne ökonomischen Kapital (Boden, Technik, Geld) immer wichtiger. In der betriebs- und personalwirtschaftlichen Ausarbeitung dieses Themas wird das Wissen und Können aller im Unternehmen Tätigen als ein Vermögen – Humanvermögen – angesehen, das es sorgfältig und langfristig zu entwickeln und an das Unternehmen zu binden gilt. Der betriebswirtschaftliche Investitionsgedanke wird so auf das durch die Subjekte in spezifischer Weise verkörperte Vermögen ausgeweitet. Wie aber kann das immaterielle Vermögen, welches nicht in Form von Tonnen gewogen oder in Form von monetären Wertgrössen gezählt werden kann, ökonomisch repräsentiert und verfügbar gemacht werden? An der Form, wie dieses Kapital qua organisiertem Zahlengebrauch dargestellt wird und in einer Art organisierten »Langsicht« (Dröge und Somm 2005) entwickelt werden soll, werden im Folgenden exemplarisch die Praktiken einer Kalkulation des Sozialen im Feld von Arbeit und Organisation herausgearbeitet. Auf der Basis empirischer Untersuchungen im Feld des Personalmanagements wird die These entwickelt, dass soziokalkulative Praktiken die Grundlage neuer Formen der Steuerung und Kontrolle im gegenwärtigen Wissenskapitalismus darstellen. In vielfacher Hinsicht zeigen sich im Feld der Personalentwicklung alle konstitutiven Aspekte des gesellschaftlichen Zahlengebrauchs innerhalb der aktuellen Gesellschaftsformation: seine strukturelle Zukunftsorientierung, seine ebenso objektivierende wie subjektivierende Steuerungslogik sowie seine notwendige Verknüpfung mit diskursiven Verfahren der Evaluation »nicht-tangibler« beziehungsweise »immaterieller« Wertgrössen.
Anhand des Begriffs der Soziokalkulation sollen nicht lediglich die funktionssystembezogenen Steuerungs- und Kontrollleistungen kalkulativer Praktiken untersucht werden, sondern ebenso – in Anschluss an Sombart und Weber – ihre Kulturbedeutung. Kalkulation wird insofern als eine nicht auf den Bereich der Wirtschaft zu beschränkende Kulturtechnik des Schreibens von Wert aufgefasst. Diese breite, auf das Verhältnis von Kalkulation und Gesellschaft insgesamt zielende Untersuchungsperspektive ist nicht zuletzt aufgrund des Bedeutungsgewinns zahlenbasierter Steuerungs- und Regulierungskonzepte in gesellschaftlichen Teilbereichen notwendig, denen bislang eine gewisse Eigenlogik zugestanden wurde – gleichviel ob diese Eigenlogik nun normativ oder funktional begründet wird. Die traditionell in öffentlicher Trägerschaft und Verantwortung erbrachten Dienstleistungen in Forschung, Bildung und Gesundheit sind das beste Beispiel für diese gesellschaftliche Landnahme kalkulativer Programme und Technologien, die Michael Power (1994: 4) bezüglich der wissenschaftlichen Forschung treffend als »shift from preoccupations with the scientificity of accounts to the financial accountability of science« charakterisiert.
  • Die Herrschaft der Zahlen
  • Inhalt

    Vorwort 9

    Einleitung 17

    Soziokalkulation als historisch spezifische Form des Schreibens von Wert 23
    Zur Kulturbedeutung des gesellschaftlichen Zahlengebrauchs 31
    Eine neue Kalkulationsweise 37

    1 Koevolution von Kalkulation und Kapitalismus 41
    1.1 Werner Sombart: Buchführung und Kapitalismus als soziogenetische Einheit 46
    1.1.1 Der umstrittene »erste Starsoziologe« 49
    1.2 Das kapitalistische Wirtschaftssystem 51
    1.2.1 »A Ghost in the Machine«: Die Bedeutung des Geistes im Wirtschaftsleben 60
    1.2.2 Weber und Sombart: Konkurrenz um das Copyright des kapitalistischen Geistes 65
    1.2.3 Geist und System: Talcott Parsons’ Kritik an der zentralen Modellstellung des Wirtschaftsgeistes bei Sombart 69
    1.3 Die doppelte Buchführung und die Formierung der frühkapitalistischen Unternehmung 73
    1.3.1 Die kapitalistische Unternehmung als Einheit der Differenz von Soll und Haben 76
    1.3.2 Die Kulturbedeutung der Buchführung: Entgrenzung und Temperierung des Erwerbsmotivs 80
    1.3.3 Sombarts erkenntnisleitendes Motiv: Kohärenz statt Konflikt 82
    1.3.4 Exkurs: Die Diskussion der Sombart-These in Wirtschaftsgeschichte, angewandter Wirtschaftstheorie und kritischer Accounting-Forschung 87
    1.4 Max Weber 92
    1.4.1 Der Stellenwert der rationalen Buchführung für die Vergesellschaftung des Handels 98
    1.5 A Tale of Two Calculations 104

    2 Soziokalkulation im Human Resource Management 117
    2.1 Human Resource Management 134
    2.1.1 Konzeptionelle und historische Hintergründe des Human Resource Managements 142
    2.1.2 Angloamerikanische Ursprünge des Human Resource Managements 148
    2.2 Die Subjektivierung von Arbeit 151
    2.2.1 Foucaults Konzept der Subjektivierung: Produktive Macht und negative Produktivität 157
    2.3 Soziokalkulation: Personalbewertung und -entwicklung bei hochqualifizierten Beschäftigten 166
    2.3.1 Das Geschäftsmodell: »Body Leasing« 167
    2.3.2 Der Führungsrahmen als Massstab für Personalbeurteilung und -entwicklung 176
    2.3.3 Karriereplanung, Kompetenzentwicklung und Selbstmanagement im Kontext des »Systematischen Entwicklungsprozesses« 180
    2.3.4 Soziokalkulative Praktiken in Personalbewertung und -entwicklung 192
    2.4 Interpretation 206
    2.4.1 Soziokalkulation und Portfoliotheorie: Zur Ökonomisierung des Sozialen 212

    3 Soziokalkulation 219
    3.1 Soziokalkulation als subjektivierende Entfaltung des unternehmerischen Arbeitshandelns 233
    3.2 Die Kalkulation der Zukunft 238
    3.3 Die Stärke schwacher Zahlen und die Ausdehnung des Kalkulativen 240
    3.4 Die Schrift der Gesellschaft und die Rhetorik der Kalkulation 241

    Literatur 247