Als Marie stolpert und einen Kaffee umstösst, lernt sie Jakob kennen und setzt damit eine Reihe von Geschichten in Gang. Jakob verliebt sich in Marie und trennt sich von Sonja. Die einsame Sonja lernt Gery kennen. Gery, der beste Freund von Maries Exfreund Joe, wird von Schuldgefühlen geplagt, weil er dessen Selbstmord nicht verhindert hat. Umgebracht hat sich wohl auch Maries Mutter. Und Maries trauernder Vater Hugo läuft eines Tages in eine Strassenbahn und fällt ins Wachkoma. Kaleidoskopartig schieben sich die Schicksale der Menschen, von denen Margarita Kinstner erzählt, übereinander, bilden ein Muster, trennen sich wieder.
Kinstner schreibt gerne aus, was sie denkt bzw. findet gerne Vergleiche. Kinstner hat einen außergewöhnlichen Roman geschrieben, aber auch einen, der nachdenklich und ruhig macht. Selbst wenn man das Buch zur Seite legt, beschäftigt man sich mit den Charakteren. Wir treffen auf Marie, Gery, Hedi, Jakob und Sonja; Traude, Anna, Norbert, Willi, Hugo und natürlich Joe. Er ist der Schlüssel zu allen; doch Joe ist tot. Gesprungen. Am 15. Juli. Kinstner konstruiert ein Labyrinth an Lebensgeschichten, Liebesgeschichten und Leidensgeschichten Eine zusammen. Am besten, am nachvollziehbarsten, am traurigsten, am tragischsten war für mich die Geschichte über Hedi. Als sich ihr Schicksal erfüllt, die Geschichte Form, Zeit und Raum aufnimmt, ihrem Ende zugeht, habe ich kleine Tränen geweint. Kinstner beweist Gefühl, Taktik, Gespür, ein Können, das ihresgleichen sucht. Sie hat einen wunderbaren einfühlsamen Schreibstil. Man braucht aber eine kleine Weile bis man in diesen hineinfindet; bis man das Konstrukt durchschaut, in sich aufnimmt. Es ist kein Buch für Zwischendurch; man muss sich darauf konzentrieren, ansonsten verfehlt es komplett seine Wirkung. Es ist ein Debütroman, der mich nicht nur überzeugt, nein der mich auch Staunen lässt. Von Kinstner könnten manche “Autoren” lernen.
Fazit: Mit “Mittelstadtrauschen” hat Kinstner ein Werk geschaffen, dass man nicht mehr so leicht vergisst. Ihre Charaktere sind ausgewogen, einprägsam, unterhaltsam, widerlich, witzig und traurig zugleich. Selten, enorm selten, bietet ein(e) Autor(in) diese Bandbreite. Es ist entweder das eine, oder das andere, aber selten alles. Hedi war aber für mich noch einmal eine Stufe drüber; ihre Geschichte wäre alleine schon ein Buch Wert gewesen, ich wüsste so gerne, was mit Ilja geschah. Es gibt wenige Bücher, Autoren, Debüts, die mich so nachhaltig, so einfordernd, so derartig beeindruckt haben, wie Margareta Kinstner’s Werk. Danke!
Große Erwartungen
Marie-Therese Reisenauer aus Wien am 18.11.2013
Bewertet: Buch (Gebundene Ausgabe)
Es sind oft große Erwartungen die man in Zusammenhang mit dem Wort "Romandebüt" hegt. Jetzt, jetzt kommt es, das Werk des Jahrhunderts. Ganz so ist es nicht in diesem Fall (und auch fast nie in allen anderen Fällen), aber es ist ein Erstling der ganz großen Gusto auf einen "Zweitling" macht. Wien spielt auf eine gewisse Art die Hauptrolle, die Protagonisten treten sicher nicht zufällig in Art von Schnitzlers Reigen auf. Alleine schon wegen des gepflegten Wienerischen empfehlenswert.