Die Welt nach dem Atomkrieg: Auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges entwirft Philip K. Dick in seinem 1965 entstandenen Roman das Bild einer zerstörten Gesellschaft, in der die Überlebenden darum kämpfen, Menschlichkeit und Normalität wiederzuerlangen. >Nach der Bombe< bietet auch 50 Jahre nach seinem Erscheinen hellsichtige Antworten auf die immer wieder aktuelle Frage »Was wäre wenn ...«.
»Es sind Dicks innere Widersprüche, die seine Genialität ausmachen, und diese Neigung zu Paradoxien durchzieht den gesamten Roman.«
Aus dem Nachwort von Jonathan Lethem
Das Buch ist von Anfang an super geschrieben und zieht einem sofort in die Geschichte hinein.
Die Welt nach dem Atomkrieg wird realistisch dargestellt und macht Hoffnung. Die Menschen versuchen, das Beste aus der Situation zu machen und die Geschichte zeigt, dass der Mensch ein Steh-auf-Männlein ist.
Grandioser Blick in eine mögliche Zukunft unserer Welt
Bewertung am 05.02.2016
Bewertungsnummer: 906222
Bewertet: Buch (Taschenbuch)
Philip K. Dick (1928 - 1982) war einer der grössten Science-Fiction Schriftsteller des 20. Jahrhunderts. Er war nicht nur Visionär, er war auch Gesellschaftskritiker und brillanter Beobachter. Leider verfiel Dick selbst zunehmend in paranoische Wahnvorstellungen, ob es mit den vielen Drogen zu tun hatte oder mit seiner Schriftstellerei, werden wir wohl nie ganz erfahren. Er fühlte sich, ähnlich wie Mr. Tree in nachfolgendem Abschnitt, von Agenten des KGB und auch vom FBI verfolgt - einmal wurde in sein Apartment eingebrochen und das verstärkte seine Überzeugung, dass »Geheimagenten« hinter ihm her waren.
»Ich bin nach Amerika gekommen, sagte Mr. Tree gerade, um den kommunistischen Agenten zu entgehen, die mich ermorden wollten. Schon damals waren sie mir auf den Fersen . . . und auch bei den Nazis stand ich auf der Abschussliste. Ich wurde von allen Seiten gejagt.
Ich verstehe. Stockstill machte sich weitere Notizen.
Und sie verfolgen mich noch immer. Aber letztlich werden sie scheitern. Mr. Tree zündete sich eine neue Zigarette an. Denn Gott ist auf meiner Seite. Er hat oft mit mir gesprochen. Er kennt meine Not und hat mir die Weisheit gegeben, die ich brauche, um meinen Verfolgern zu entgehen . . . Zurzeit arbeite ich in Livermore an einem neuen Projekt, dessen Ergebnisse endgültig sein werden, was unseren Feind betrifft.
Unser Feind. Wer soll das sein?, dachte Stockstill. Sind nicht Sie dieser Feind, Mr. Tree? Ein Mann, der hier vor mir sitzt und seine paranoiden Wahnvorstellungen herunterleiert? Wie sind Sie überhaupt in diese hohe Position gelangt? Wer ist dafür verantwortlich, dass Sie so viel Macht über das Leben von Menschen haben? Und dass Sie diese Macht nach der Tragödie von 1972 behalten durften? Wenn jemand unser Feind ist, dann sind Sie es, Mr. Tree, Sie und die Leute, in deren Auftrag Sie handeln.« (S. 14)
In Nach der Bombe zeichnet Dick die Ängste der Amerikaner vor einem Atomkrieg nach. Alle Figuren in diesem Roman sind von Ängsten beherrscht - einige mehr, andere weniger - bei einigen zieht dies positive Folgen nach sich, bei einigen führen sie zu Einsamkeit, Gewalt, Mord . . .
Was würde passieren, wenn ein nuklearer Krieg die Welt ins Chaos stürzen würde? Wissenschaftler haben erst vor einigen Wochen im »Mitteilungsblatt der Atomwissenschaftler« die sogenannte »Weltuntergangsuhr« auf 3 Minuten vor 12 gestellt (wobei 12 Uhr den Weltuntergang bedeuten würde). Durch Klimakatastrophen, Terrorakte, den »Krieg gegen den Terror« und andere Konflikte auf der Welt steigt die Gefahr für einen Nuklearkrieg wieder enorm an. Und neben Pakistan, Indien, China und Russland, haben gerade auch die USA ihre Atomwaffenarsenale wieder enorm aufgestockt und Milliarden von Dollars investiert, um aufzurüsten.
Das Buch ist extrem spannend. Auch eine interessante, (beinahe) anarchistische Gesellschaft entwickelt sich, als die Überlebenden sich zusammentun. Zwar gibt es auch Konflikte zwischen Städten und Dörfern, und Konflikte und Intrigen innerhalb der Gruppen, aber diese Gesellschaftsform, die Dick in diesem Buch zeichnet, ist sehr interessant und es macht Freude, dabei zu sein, wenn sich die Menschen zusammentun und neue Wege aus dem Chaos suchen und wieder einen geregelten Alltag versuchen zu ermöglichen.
»Wissen Sie, ich kann verstehen, wenn sich ein Kind in der heutigen Zeit in seine Fantasien zurückzieht. Vielleicht sollten wir das alle machen. Barnes setzte ein Lächeln auf - das weder von Bonn noch von Mr. Tree erwidert wurde.« (S. 150)
Auch vertiefte sich Dick zunehmend in spirituell/religiöse Themen, da er einmal »Visionen« hatte, die er rational nicht erklären konnte. Trotz seiner Paranoia und seiner spiritueller/religiöser Verwirrtheit war Dick ein brillanter Kopf der es nicht nur verstand, Ängste der Gesellschaft geschickt in Geschichten zu verpacken sondern auch zukünftige technologische Entwicklungen vorwegzunehmen. Auch diese spirituellen Themen kommen in diesem Buch immer wieder vor, sodass manchmal nicht alles mit rechten Dingen vor sich geht. Das hat zwar mit der Realität nichts zu tun, für die Geschichte selbst ist es aber durchaus eine Bereicherung.
Im Nachwort zitiert Jonathan Lethem ein Lied von Leonard Cohen:
»Es gibt Krieg zwischen den Reichen und Armen / Krieg zwischen den Sonderbaren und Normalen / Es gibt Krieg zwischen denen, die sagen, dass es Krieg gibt / Und denen, die sagen, dass es keinen gibt« Und weiter meint Lethem: »Dieses eine Mal erklärt er, dass es wirklich einen Krieg gegeben hat. Oder möglicherweise doch nicht? Und auch wenn es ihn gegeben hat - vielleicht kann er doch zu etwas Schönem führen.« (S. 319)
»Nach der Bombe« - eines meiner Lieblingsbücher eines grossen, wenn auch bemitleidenswerten Schriftstellers.