Ein wenig Leben handelt von der lebenslangen Freundschaft zwischen vier Männern in New York, die sich am College kennengelernt haben. Jude St. Francis, brillant und enigmatisch, ist die charismatische Figur im Zentrum der Gruppe – ein aufopfernd liebender und zugleich innerlich zerbrochener Mensch. Wie in ein schwarzes Loch werden die Freunde in Judes dunkle, schmerzhafte Welt hineingesogen, deren Ungeheuer nach und nach hervortreten. Ein wenig Leben ist zugleich realistischer Roman und Märchen – ein rauschhaftes, mit kaum fasslicher Dringlichkeit erzähltes Epos über Trauma, menschliche Güte und Erlösung. Es begibt sich an die dunkelsten Orte, an die Literatur sich wagen kann, und bricht dabei immer wieder zum hellen Licht durch.
Laut Inhaltsbeschreibung geht es um vier Männer, die sich am College kennenlernen und eine lebenslange Freundschaft pflegen. Im Mittelpunkt steht Jude St. Francis, der trotz der Liebe seiner Freunde, nicht aus dem schwarzen Schatten seiner Kindheit und Jugend treten kann.
Obwohl die Freundschaft dieser vier Männer angeblich im Zentrum der Erzählung steht, geht es meiner Meinung einzig und allein um Jude, einen beschädigten Menschen, der es nicht einmal wagt, ein wenig Leben und ein bisschen Liebe zu erwarten.
Jude ist charismatisch, er ist gut aussehend, er hat etwas Überlegenes und ist geheimnisvoll. Mit Jude St. Francis hat Autorin Hanya Yanagihara einen Protagonisten erschaffen, den man einfach lieben muss. Ich konnte nicht anders, als an Judes Leben teilzuhaben, jede Minute mit ihm als Geschenk zu empfinden und ihm mit jeder Faser meines Körpers alles Gute zu wünschen. Ich hatte noch nie eine derart intensive Hörerfahrung und es kommt selten vor, dass man sich so sehr an einen Charakter gebunden fühlt. Denn Jude ist nicht nur mit diesen überaus positiven Eigenschaften gesegnet, sondern ihm wurde in seinem Leben übelst mitgespielt. Vom Trauma seiner Kindheit und Jugend hat er sich weder physisch noch psychisch erholen können und nach und nach erfährt man, wie eine menschliche Seele so zugerichtet werden kann.
Jude ist ein beschädigter Mensch. Er ist zerbrochen und kann nicht einmal durch die Liebe seiner Freunde notdürftig zusammengesetzt werden. Dabei hat er trotz all der Grausamkeiten seines Lebens so großes Glück gehabt. Er hat überlebt und er wird wahrhaftig geliebt, weil man einfach nicht anders kann, als vom ersten Moment an unendliche Zuneigung für Jude zu empfinden.
Die Handlung erstreckt sich über ein ganzes Menschenleben. Über mehrere Jahrzehnte hinweg lernt man Jude und seine Freunde kennen, erlebt mit ihm schöne Augenblicke, erfährt in Rückblicken, was Jude einst so beschädigt hat, und macht gleichzeitig Entsetzliches in der Gegenwart durch, was dieses Hörbuch zu einer sehr intensiven Lese- bzw. Hörerfahrung macht.
Judes Freunde nehmen mehr oder weniger Raum in der Erzählung ein und rücken doch stark in den Hintergrund. Daher behaupte ich, dass es nicht um die Freundschaft, sondern um das Trauma geht, das einen gebrochenen Menschen hervorgebracht hat.
Das Leben und die Leiden von Jude St. Francis haben mich aufgewühlt, mich nachdenklich gestimmt, mich mit Liebe und Zuneigung gefüllt und mir den Boden unter den Füßen weggezogen. Meiner Meinung nach hat Hanya Yanagihara damit ganz große Literatur geschaffen, die vielleicht märchenhafte Züge enthält, einen epischen Grundton hat und manches Mal sogar kitschig ist, mich als Leser aber mitten in der Seele trifft und zum intensiven Nachdenken anregt.
Wer diesem Roman offen gegenübersteht und sich auf den ruhigen Erzählstil einlassen kann, wird in Judes Schatten treten und so schnell nicht mehr herausfinden. Es ist ein Buch voller Leid, Liebe und Wahrhaftigkeit. Es ist eine Geschichte, die einen nicht unberührt und vor Schmerz innerlich aufschreien lässt.
Die ganze Emotionspalette
Wilde_buchjagd am 11.06.2025
Bewertungsnummer: 2513032
Bewertet: Buch (Taschenbuch)
Wie soll ich nur die richtigen Worte zu diesem Buch finden? Einem Buch, dass zwar aus Worten besteht, aber vielmehr aus Gefühlen und Emotionen zusammengesetzt ist.
»Ein wenig Leben« ist ein gewaltiges Buch, das nicht ohne Grund unzählige Beiträge und Diskussionen hervorgebracht hat. Für mich war dieses Buch eine Reise. Ein Buch, das mich lange begleitet hat. Und dafür bin ich froh, da es dadurch noch weiter mit Emotionen aufgeladen wurde und an Intensität zugenommen hat.
Meine Gefühle haben sich zu meinem Halbzeit Leseeindruck nicht verändert, die Emotionen, der Schmerz, der Druck ums Herz wurden nur verstärkt.
Ich liebe und hasse Yanagihara zugleich. Liebe sie für dieses Buch, und hasse sie, was sie Jude angetan hat. Natürlich ist mir bewusst, dass Jude ein Buchcharakter ist, aber über so viele Seiten, so viele Stunden, so viele Emotionen ist Jude irgendwie mehr geworden, zu einem Buchcharakter, der immer wieder hilflos seine Finger aus dem Buch streckt und dann doch wieder zurückweicht. Ihm wurde so viel Leben eingehaucht, dass es mich nicht gewundert hätte, wenn es Jude am Ende nicht doch gelungen wäre aus diesem Buch voller Schmerz herauszutreten.
ABER.
Irgendwann im Buch gab es einen Punkt, an dem es für mich zu repetitiv wurde. Zu viel Leid. Zu viel Schlimmes. Zu überspitzt.
Ich liebe Jude und ich liebe Willem, und ich liebe es, wenn es um beide geht, ihren Alltag, ihre Gedanken - davon hätte ich unzählige Seiten lesen können. Allerdings bin ich zum Ende des Buches gegen eine Wand gelaufen. Eine Wand, die sich aus den vielen Szenen des Leids (es wird immer mehr, zu viel, zu überspitzt - hätte es Dr. Taylor und Raststätten wirklich noch gebraucht?) ergeben hat. Obwohl ich unbedingt wissen wollte, wie es weitergeht, hatte ich genug, stand fast eine Woche vor dieser Wand und bin der obersten Kante bis auf kleine Sprünge nicht näher gekommen. Habe die Lust weiterzulesen verloren. Es war einfach zu viel. Aber nicht zu viel Herzschmerz, sondern einfach zu viel Schlimmes, was Jude passiert ist. So viel, dass ich im sanften Fluss der Geschichte an Kanten angestoßen bin, die mich so aus der Handlung und den tiefen Gefühlen herausgerissen haben.
Zum Glück habe ich die Tür in der Wand dann aber doch gefunden und konnte die intensiven letzten 100 Seiten "genießen", in denen Yanagihara unser Herz in eine Kammer setzt, in der der Druck Schritt für Schritt erhöht wird, man verzweifelt Luft holt, der Blick vor hervorbrechenden Tränen verschwimmt und man versucht das Feuer in einem zu löschen, bevor der Ausweg verschlossen ist.
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Ist es ein Highlight geworden? Ja, aber eines mit einem kleinen Wermutstropfen, da ich mich vor der Wand gefragt habe, ob dieses Buch nicht auch mit Weniger hätte auskommen können? Denn mit ein bisschen weniger Leben hätte es zu einem großartigen Highlight ohne Einschränkungen werden können.
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**Über Triggerwarnungen sollte man sich vorher schlau machen!**
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»Ein wenig Leben« von Hanya Yanagihara. Aus dem Englischen von Stephan Kleiner, Piper.
Meinungen aus unserer Buchhandlung
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Bei "Ein wenig Leben" handelt es sich um die bemerkenswerte Geschichte vierer Jugendfreunde, die sich in all den Jahren nie aus den Augen verlieren und die Höhen und Tiefen des Lebens gemeinsam überstehen. Vor allem Jude St. Francis wird immer wieder von Schicksalsschlägen heimgesucht, die seine Beziehungen auf die Probe stellen. Die schweren Thematiken, die hier angesprochen und grafisch beschrieben werden, hätten definitiv einige Trigger-Warnungen am Anfang des Buches verdient. "Ein wenig Leben" ist ein intensives, grausames und auf eine Art doch hoffnungsvolles Buch, welches ich nicht mehr weglegen konnte.