Ein humorvolles, actionreiches Jugendbuch ab 12 Jahren.
17 Meter 42 – so hoch ist die Brücke über dem Fluss, von der Bjarne und sein bester Freund Luca springen, Bjarne hat schliesslich extra mit dem Senkblei seines Vaters nachgemessen. Lebensmüde sind die beiden nicht, der Sprung war trotzdem eine Scheissidee, denn Bjarne bricht sich den Fuss. Dabei wollte er doch nur fliegen, schliesslich würde er einfach alles dafür tun, dass sich bei ihm endlich eine übernatürliche Begabung zeigt. Stattdessen wird sie plötzlich bei Luca festgestellt. Während der nun in der Welt der „Superhelden“ lebt, landet Bjarne im Sommercamp für Unbegabte. Und da geht der Ärger erst richtig los!
Der Start in die Geschichte war angenehm und startete auch gleich mit einem riskanten Vorhaben. Bjarne und sein bester Freund Luca stehen auf einer Brücke und wollen in den Abgrund springen. Damit auch nichts passiert, außer die Begabung im Inneren zu wecken, hatte Bjarne im Vorfeld die Höhe und die Tiefe des Wassers mit einem Senkblei ausgemessen. Denn seit einigen Jahren gab es immer mal wieder Jugendliche, die aus ungeklärten Gründen plötzlich besondere Fähigkeiten entwickelten. Alles ist möglich, vom Atmen unter Wasser bis hin mit bloßen Händen Nägel in die Wand zu schlagen.
Und auch Bjarne hat den Traum von einer Begabung: Fliegen. Sein sehnlichster Wunsch. Um diesen zu entwickeln, versucht er wirklich alles, auch wenn es bedeutet, von einer Brücke springen zu müssen.
Ich mochte die Umsetzung des Kernthemas. Auch oder gerade, weil sie mithilfe von Fantastik vermittelt wurde. Doch die Botschaft kam an und ich persönlich fand sie sehr wichtig. Du bist kein Mensch zweiter Klasse, nur weil du keine besondere Fähigkeit hast.
Um diese Kernaussage wurde eine unterhaltsame und spannende Geschichte mit reichlich Wiedererkennungswert gestrickt. Dies gelang Boris Koch besonders durch seine unterschiedlichen Charaktere. Sie eigneten sich perfekt dazu, um sich mit ihnen identifizieren zu können. Sei es als Eltern oder als junger Mensch.
Protagonist und strahlender Antiheld der Geschichte war der 14-jährige Bjarne. Sein Traum vom Fliegen beeindruckte mich, denn er war absolut willensstark, dieses Ziel zu erreichen. Dafür war ihm kein Versuch zu gefährlich. Trotzdem war Bjarne alles andere als naiv. Er war so klug, alles zu hinterfragen und genaustens zu prüfen. Während seine Mutter zum Beispiel eifrig die Theorie verfolgte, dass einfarbiges Essen die Begabung am Schnellsten zutage fördern konnte, fragte sich Bjarne, ob das nicht nur bloßer Quatsch wäre. Gut, er versuchte es dennoch, schließlich sollte keine Chance ungenutzt bleiben.
Obwohl Bjarne nur wenig Freunde hatte, war er ein sehr loyaler und treuer Charakter. Er missgönnte seinem besten Freund Luca die plötzliche Begabung nur marginal. Dies war auch relativ schnell abgehandelt, das Gefühl, denn für Bjarne stand fest, dass er Luca immer unterstützen würde. Die Freundschaft der beiden Jugendlichen war tief und glaubwürdig. Und wie in jeder guten Freundschaft gab es einige Untiefen zu umschiffen.
Der Handlungsaufbau war schön klar. Im Grunde gab es nur einen Handlungsstrang, der jedoch glaubwürdig mit logischer Kontinuierlichkeit und mit viel Dynamik weiterentwickelt wurde. Im Zentrum der Aufmerksamkeit stand immer Bjarne, dessen Geschichte vom personalen Erzähler geschildert wurde. Durch diesen speziellen Fokus auf Bjarne erlebte ich nicht nur seine weitere Entwicklung hautnah mit, nein, ich durfte auch dabei sein, wie auch dessen Eltern und Freunde Fortschritte machten.
Möglich machte dies der Schreibstil von Boris Koch. Er verstand es mit reichlichen humordurchtränkten Anspielungen ein Szenario zu entwerfen, wo Begabte statt zu Superhelden zu begehrten Medienstars wurden. Mit einem guten Gespür fürs Detail imitierte Boris Koch die Interaktion von Jugendlichen auf Social-Mediaplattformen mit anderen Followern, sowie Hatern ihrer persönlichen Stars. Damit ließ er mich an vorderster Front an der aktuellen Stimmungslage teilhaben.
Gleichzeitig blieb er mit seinem flüssigen Schreibstil immer dicht an Bjarne dran und zeigte, wie belastend der Druck sein kann, seinem Idol und Traum nachzueifern.
Besonders mochte ich, dass der Schreibstil trotz seiner lustig leichten Art an den richtigen Stellen immer mit der nötigen Ernsthaftigkeit daherkam.
Die Erzählungen waren insgesamt ziemlich rasant und hatten für mich nie Längen, obwohl es eine wechselnde Spannungsdynamik gab. Nicht immer war alles superaufregend, es gab auch zwischendurch ruhige Töne, um runterzukommen.
Ich mochte die Vielschichtigkeit sehr, denn hier ging es um tiefe Freundschaft, erstes Verliebtsein, Selbstbewusstsein und die Tatsache, dass du keine Begabung brauchst, um ein Held zu sein. Zwischendrin der mediale Hype um die Begabungen und den Leistungsdruck, den sich die Jugendlichen nicht nur selber machten. Auch ihre Eltern mischten kräftig mit, weil sie ihre Sprösslinge auch gern in der Liga der oberen zehntausend sehen wollten.
Dies alles mengte Boris Koch zu einem lustigen Potpourri zusammen, der jedoch nie die Botschaft aus den Augen verlor.
Fazit:
Ein toll durchdachtes Jugendbuch mit vielen wichtigen Aussagen und Lektionen, die jedoch so augenzwinkernd verpackt wurden, dass es nie beschwerlich oder belehrend wirkte. Ein humorvolles und spannendes Antihelden Abenteuer.
Traum vom Fliegen
Midnight-Girl aus NRW am 01.05.2021
Bewertungsnummer: 1489835
Bewertet: Buch (Gebundene Ausgabe)
Der Traum vom Fliegen ist so tief in Bjarne verankert, dass er einfach alles dafür tun würde, damit die Begabung sich endlich zeigt. Doch weder die entsprechend ausgelegte Ernährung noch das Herbeiführen einer Extremsituation mit den dazugehörigen Emotionen, führt zum Erfolg. Ist Hypnose der Weg zum Ziel? Als sein bester Freund plötzlich eine übernatürliche Begabung entwickelt und Bjarne selbst im Camp für Unbegabte landet, wähnt er sich bereits am Tiefpunkt..
Es gibt zahlreiche Statistiken darüber, zu welchem Zeitpunkt sich tendenziell eine Begabung zeigt, welche Nahrung oder Aktivität womöglich eine Rolle spielt und ähnliches mehr – Bjarne kennt sie alle. Sein Wissen hat ihm bisher allerdings wenig genutzt, eher im Gegenteil, manövriert er sich zunehmend in brenzlige und gefährliche Situationen. Regelmäßig erwischt man sich während der Lektüre dabei, die eigenen Träume und Wünsche zu klassifizieren, um herauszufinden wie weit man selbst bereit wäre zu gehen, um diese zu erreichen.
Eingebettet in eine Geschichte rund um Rivalitäten, Ängste, Begabungen und Zusammenhalt, geht es im Grunde noch um soviel mehr. Tiefgründiger als auf den ersten Blick erwartet, dabei gleichzeitig so nah an den eigenen Empfindungen, dass die eigentlichen Ereignissen fast schon ein wenig in den Hintergrund rücken. Dass er diesen Nerv treffen könnte, war dem Autor scheinbar bewusst, denn plötzlich wartet er mit Überraschungsmomenten auf, die den Leser imaginär zurück ins Camp holen, wo es rasant zur Sache geht, da bleibt kein Stein auf dem anderen.
Nicht jeder Charakter kann den Leser für sich einnehmen, nicht jede Aktion befürwortet man, nichtsdestotrotz werden neben kleinen und großen Kämpfen oder alltäglichen (Teenie)Problemen elementare Aspekte geschickt eingeflochten, ohne den reinen Unterhaltungswert zu mindern. Vergnüglichen Lesestunden steht demnach nichts im Wege.