»Die neue Stimme der französischen Literatur.« ZEITmagazin
Kann man sich zu seinem Glück zwingen? Prix Goncourt-Preisträgerin Leïla Slimani erzählt von der Zerrissenheit einer Frau. Nach aussen hin führt Adèle ein Leben, dem es an nichts fehlt. Sie arbeitet für eine Pariser Tageszeitung, ist unabhängig. Mit ihrem Ehemann, einem Chirurgen, und ihrem kleinen Sohn lebt sie in einem schicken Viertel, ganz in der Nähe von Montmartre. Sie reisen, sie fahren übers Wochenende ans Meer. Dennoch macht Adèle dieses Leben nicht glücklich. Gelangweilt eilt sie durch die grauen Strassen, trifft sich mit Männern, hat Sex mit Fremden. Sie weiss, dass ihr die Kontrolle entgleitet. Sie weiss, dass sie ihre Familie verlieren könnte. Trotzdem setzt sie alles aufs Spiel.
Adèle hat eigentlich das perfekte Leben: sie lebt mit ihrem Mann, der erfolgreicher Arzt ist und ihrem kleinen Sohn in einem guten Viertel in Paris. Sie selbst ist Journalistin bei einer großen Pariser Tageszeitung. Ihr Mann kümmert sich liebevoll um sie und ihren Sohn, macht ihr teure Geschenke und Reisen. All das reicht Adèle nicht. Sie langweilt sich und sucht das Abenteuer und den Kick in Alkohol, Drogen und besonders in Sex mit anderen Männern.
Adèle steht buchstäblich am Abgrund, sie versucht, ihrer Rolle als Ehefrau und Mutter gerecht zu werden, aber auch ihr Leben im Rausch mit Alkohol, Drogen und dem Sex mit anderen Männern aufrecht zu erhalten. Man wird nicht so wirklich warm mit ihr, vielleicht auch deshalb, weil ihr Leben sich von den meisten der Leser so sehr unterscheidet. Ich wurde in Adèles Strudel mitgerissen aus verschiedensten Emotionen: ihrer Zerrissenheit, ihrer Sucht und ihrer Verzweiflung. Als Leser ist man abgestoßen von ihrer Stumpfheit und Sucht, andererseits auch fasziniert, weil es eben so verstörend und unbequem ist. Man verzweifelt regelrecht mit, weil man Adèle gerne schütteln möchte, dass der Sex und die Körperlichkeit eben nicht reichen und ihren Hunger auf mehr stillen werden. Manche Passagen kann man beim Lesen kaum aushalten und ich musste das Buch auch ein paar Mal beiseite legen, weil es verstörend war.
Das Buch ist im ersten Teil aus Adèles Sicht geschrieben, was einen als Leser noch mal mehr abholt und in ihr Leben zieht. Da das Buch keine richtigen Kapitel hat, war es mitunter ein bisschen holprig zu lesen. Der zweite Teil steht dann im Kontrast dazu, sowohl sprachlich als auch inhaltlich. Das Ende konnte mich leider nicht wirklich überzeugen, weil es offen ist und zu viel Spielraum für Interpretationen lässt.
Vom Klappentext her hätte ich eine andere Geschichte erwartet. Für mich war es überraschend, dass es vorrangig um Adèles Nymphomanie geht, ein wichtiges Thema, von dem ich so noch kein Buch gelesen habe. "All das zu verlieren" ist kein einfaches Buch, nichts zum "Mal-eben-Lesen" oder für zwischendurch. Es hallt nach und lässt den Leser nachdenklich zurück, aber gerade da liegt der Reiz, es trotzdem nicht zur Seite zu legen.
Von mir eine Leseempfehlung für alle, die kein einfaches Buch suchen und gerne von menschlichen Abgründen lesen.
schein trügt - verzweifelt - schonungslos
Bewertung am 13.12.2022
Bewertungsnummer: 1842646
Bewertet: Buch (Gebundene Ausgabe)
Adèle führt ein scheinbar perfektes Leben. Sie ist mit einem Arzt verheiratet, hat einen kleinen Sohn, hat eine gute Figur und einen Job der sie erfüllt. Aber das ist nur die Adèle, welche ihre anscheinenden Freunde sehen und kennen.
Die Adèle mit der wir Leserin*innen mitgehen, ist ganz anders. Diese Adèle will keine Familie, ist nicht verliebt in ihren Mann, hat Sex mit Fremden, oder auch Bekannten, hat eine Kreditkarte im Minus und sie ist gelangweilt in Ihrem Job als Journalistin. Eines Tages kommt durch einen Zufall alles ans Licht. Ihr Ehemann Richard findet sich inmitten von Umzugskartons, die eigentlich in ihr neu gekauftes Haus sollten heraus, dass seine Frau ihn nicht nur betrogen hat, sondern auch ihren gemeinsamen Sohn einfach zu Freunden oder ihrer Mutter geschickt hat, um Männer zu treffen oder um exzessiv zu feiern.
Nun stellt sich die Frage wie es weitergeht. Verlässt Richard Adèle oder umgekehrt? Schaffen die beiden es ein Paar zu bleiben? Kann Adèle ein Leben auf dem Land überhaupt aushalten?
Leïla Slimani hat es geschafft mein Lesen den Emotionen von Adèle anzupassen. Ist die Protagonistin gestresst oder hat einen inneren Drang, so habe ich schneller gelesen. Leidet Adèle, hat sich mein Lesetempo verlangsamt.
Immer wieder sagt Adèle, dass sie nie wirklich in Ihren Mann verliebt war, dass sie eigentlich keine Kinder wollte, dass sie nicht verheiratet sein möchte, aber sie das Gefühl hat es gehöre sich so. „Das ist unsere Gesellschaft, welche ihr das einprägt“, könnte man jetzt sagen. Aber ich glaube so einfach kann man es eben nicht abtun, denn ich hatte wirklich den Eindruck, dass dieser Wunsch nach einer Bilderbuchfamilie von Adèle aus kommt und nicht nur vom Druck von Aussen.
Ich bin sehr beeindruckt von diesem Buch.