An einem heissen Sommertag wird die dreissigjährige Natsuko von ihrer älteren Schwester Makiko und ihrer Nichte Midoriko in Tokyo besucht. Tokyo ist die Stadt, in die Natsuko als junge Frau kam, um ein neues Leben als Schriftstellerin zu beginnen, Osaka der Ort, den sie hinter sich liess. Dort arbeitet ihre Schwester als Hostess: eine Frau, die Männern Gesellschaft leistet bei Alkohol, Essen und Karaoke. Makiko, die mit ihrem alternden Körper hadert, ist davon besessen, sich die Brust vergrössern zu lassen. Unterdessen ist ihre zwölfjährige Tochter Midoriko von der einsetzenden Pubertät überfordert. Unfähig, in einer Gesellschaft, die alles Intime tabuisiert, ihre Ängste und Wünsche zu kommunizieren, verstummt sie ganz. Und auch die asexuelle Natsuko fragt sich, welche Rolle ihr bleibt – als unverheiratete Frau, die nicht mehr Tochter ist und vielleicht nie Mutter sein wird. Als mit den Jahren in Natsuko der Wunsch nach Mutterschaft wächst und sie eine künstliche Befruchtung erwägt, schlägt ihr der Widerstand der Gesellschaft entgegen, die alleinstehenden Frauen wie ihr diese Option verwehrt.
In ihrem eindringlichen Roman widmet sich Mieko Kawakami Fragen nach Geschlechterrollen und Schönheitsnormen und danach was es heisst, als Frau ein sinnreiches und selbstbestimmtes Leben zu führen.
Mit einem Durchschnitt von 4,625 ist dies bislang das best bewertete Buch des Elitären Buchclubs!
Mieko Kawakamis „Brüste und Eier“ hat uns sehr berührt und bewegt. Es ist ein kraftvolles und bewegendes Porträt des Frauseins in einer patriarchalen Gesellschaft. Wir finden, dass das Buch nicht nur für Feminist*innen wie uns ist, sondern eine unverzichtbare Lektüre für alle, die die Herausforderungen und Kämpfe von Frauen verstehen möchten.
Kawakami erzählt die Geschichten von Frauen, die mit ihren eigenen Unsicherheiten und gesellschaftlichen Erwartungen ringen. Besonders eindrucksvoll ist der Wechsel in der zweiten Hälfte des Romans, der sich auf Natsukos persönliche Reise konzentriert – ihre Beziehung zum Schreiben und ihre Gedanken zur Mutterschaft. Dieser Teil bietet tiefe Einblicke in ihre inneren Konflikte und forderte auch uns zum Nachdenken heraus und hat zu vielen Diskussionen in unserem wöchentlichen Treffen geführt.
Der Roman berührt viele Themen, darunter Armut und die Realität der Arbeiterklasse in Japan. Kawakamis Schilderungen sind scharf und unerschrocken, und sie zeigt eindrucksvoll, wie wirtschaftliche Zwänge das Leben und die Entscheidungen von Frauen beeinflussen.
Besonders berührend sind die philosophischen Gespräche, vor allem zwischen Natsuko und Rika Yusa sowie Yuriko, über die Ethik des Kinderkriegens, und die Tagebucheinträge von Midoriko im ersten Teil. Diese Abschnitte haben uns ebenfalls sehr angeregt über unsere eigenen Meinungen nachzudenken und diese beim Buchclub auszutauschen.
Im ersten Teil konnten wir feststellen, dass Midoriko unser gemeinsamer Lieblingscharakter ist, im zweiten Teil übernehmen Rika Yusa und Aizawa diese Rolle. Wir hoffen, alle Charaktere wachsen zukünftigen Leser*innen genauso ans Herz wie uns.
Kawakamis Werk bleibt uns glauben wir lange im Gedächtnis und im Herzen!
| Identität und Selbstbestimmung |
Bewertung am 10.11.2023
Bewertungsnummer: 2065724
Bewertet: Buch (Taschenbuch)
Eine inspirierende und kraftvolle Lektüre, die die Suche nach Identität und weiblicher Selbstbestimmung in den Fokus rückt. Mit einfühlsamer Sprache und tiefgehenden Themen lädt das Buch dazu ein, über die eigenen Träume und Wünsche nachzudenken. Eine Empfehlung für alle, die nach literarischer Inspiration und einer kritischen Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Normen suchen.
Meinungen aus unserer Buchhandlung
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... über das Frau-Sein, über die japanische Gesellschaft und über das Leben an sich.
Ich-Erzählerin Natsuko unterteilt ihre Geschichte in zwei Teile: Der erste umfasst ein Wochenende im Sommer 2008. Der zweite setzt acht Jahre später an und beschreibt ihre Erlebnisse von 2016-2019.
Im ersten Teil schildert sie den Besuch ihrer acht Jahre älteren Schwester Makiko und deren zwölfjähriger Tochter, Midoriko, bei sich in Tokio. Anlass ist der Wunsch Makikos, sich einer Brustvergrösserung zu unterziehen. Der Besuch ihrer Schwester weckt einerseits Erinnerungen an Natsukos schwierige Kindheit in ärmlichen Verhältnissen und an den frühen Verlust von Mutter, Oma und jeglicher Sicherheit. Andererseits setzt sie sich auseinander mit dem japanischen Schönheitsideal. In Natsukos Erzählung mischen sich zudem Auszüge aus einem Heft, in das ihre Nichte, Midoriko, schreibt, seitdem sie nicht mehr mit ihrer Mutter spricht. Sowohl Natsuko als auch Midoriko spüren in diesem Teil der tieferen Bedeutung von Wörtern bzw. japanischen Schriftzeichen und dem Frausein nach.
Der zweite Teil greift Makikos Besuch lange nicht auf. Natsuko erzählt von ihrem Leben als Schriftstellerin, aber vor allem von ihrem zunehmend stärker werdenden Kinderwunsch. Beim Sex mit ihrem ersten und einzigen Freund mit Anfang 20 dachte sie immer, sie müsse sterben, und mit Sex allgemein kann sie nichts anfangen. Sie lebt allein – die Vereinsamung der japanischen Gesellschaft ist ebenso Thema wie die Pflicht, die (angeheirateten) Verwandten zu pflegen – und als sie erfährt, dass es Samenbanken und private Spender gibt, schöpft sie neue Hoffnung. Es ist ein langwieriges Ringen, zuerst mit sich selbst, dann mit ihrer unmittelbaren Umgebung. Wer darf eigentlich Kinder kriegen und wer nicht?, ist dabei die grundlegende Frage, vor der Natsuko steht. Und was ist mit den auf diesem Weg gezeugten Kindern? Was sind ihre Rechte? Gerade Letzteres scheint, laut Roman, in Japan noch sehr im Argen zu liegen.
Durch den zeitlichen Bruch haben wir den Eindruck, hinterher tatsächlich mehr als zehn Jahre mit Natsuko verbracht zu haben. Sie wuchs mir rasch ans Herz, was an ihrer ehrlichen, lebendigen Erzählweise lag. Auch die vielen Dialoge tragen zu diesem Eindruck bei. Ich bin in japanischen Romanen zuletzt öfter darauf gestossen, dass offensichtliches Schwitzen eher verpönt wird – umso authentischer waren Natsukos Schilderungen von der Hitze des Sommers und wie diese sie zum Schwitzen bringt.
Aufgewachsen in prekären Verhältnissen hat sie dafür noch heute ein Auge. Aber sie lässt uns nicht nur einen Blick in dieses Milieu werfen, sondern stellt dem, wertfrei, gutsituierte Familien gegenüber und welchen Zwängen sie, und die japanische Gesellschaft allgemein, unterliegen.
«Brüste und Eier» ist ein kluger Roman, der auch uns wichtige Fragen stellt, uns nach Japan reisen lässt und den ich enorm gern gelesen habe.
Mit viel Sinn für sprachliche Feinheiten aus dem Japanischen übersetzt von Katja Busson.
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Selten so ein verwirrendes und mitreissendes Buch gelesen! "Brüste und Eier" kommt in meine Top 20. Frauenthemen sind reingepackt die ich vorher nur oberflächlich gestreift hatte und mich zum Nachdenken angeregt haben. Eine Lektüre die das Frausein hinterfragt und zelebriert.