Michaela Küppers aufwühlender Roman über ein Frauen-Schicksal im Dritten Reich vor dem Hintergrund der sogenannten Kinderlandverschickung
Das Ruhrgebiet im Sommer 1943. Die junge Lehrerin Barbara soll eine Gruppe Mädchen im Rahmen der sogenannten Kinderlandverschickung begleiten. Angst, aber auch gespannte Unruhe beherrschen die Gedanken der Kinder, denn sie wissen nicht, was sie erwartet. Das Heim, das ihr zeitweiliges Zuhause werden soll, erweist sich zunächst als angenehme Überraschung, doch dann muss dieses geräumt werden.
Es beginnt eine Odyssee, die nicht nur die Kinder, sondern auch Barbara an ihre Grenzen führt, denn mehr und mehr wird sie, die sich bisher aus der Politik herauszuhalten versucht hat, mit den grausamen Methoden und Plänen der Nationalsozialisten konfrontiert – und mit Menschen, die für ihre Ideologie vor nichts zurückschrecken.
Als schliesslich ein Mädchen verschwindet und ein polnischer Zwangsarbeiter verdächtigt wird, kommt für die Lehrerin die Stunde der Entscheidung.
Ein Roman über die Frage: Wie konnte man, konnte eine Frau unter dem verbrecherischen System des Nationalsozialismus anständig bleiben?
Zimtstern's Bücherregenbogen aus Mönchengladbach am 24.10.2021
Bewertungsnummer: 1593733
Bewertet: Buch (Taschenbuch)
"Der Kinderzug" erzählt die Geschichte der jungen Lehrerin Barbara. Als Lehrerin begleitet sie im Sommer 1943 eine Gruppe Mädchen nach Usedom. Eigentlich sollten Sie nur eine kurze Zeit dort verbringen. Doch kommt alles anders. Die Mädchen sollen fernab von Krieg & Bomben einen einigermaßen normalen Schulalltag haben. Durch die Kinderlandverschickung haben sie diese Chance. Eine Reise die so gar nicht nach Plan läuft. Wie es so oft auf Reisen ist, gibt es auch hier & da Krankheiten, Heimweh, Eifersucht um nur ein paar Hindernisse zu erwähnen. Ihre Unterkunft auf Usedom scheint, bis das Haus plötzlich geräumt werden muss, ein echter Glücksgriff zu sein. Ab da beginnt die Odyssee einmal quer durchs Land.
Erzählt wird die Geschichte aus mehreren Sichten. So erfährt man die Ereignisse aus der Sicht von Barbara & aus der Sicht der Mädchen. Am Anfang mag es etwas schwer sein mit den ganzen Protagonisten klar zu kommen, aber das legt sich schnell. Ein sehr emotionaler, ergreifender & fesselnder Roman. Ein bildhafter, toller, fesselnder & gut verständlicher Schreibstil. Eine Geschichte die nachvollziehbar & authentisch ist. Dieses Buch wird mich eher nicht so schnell los lassen. Werde es sicher irgendwann noch einmal lesen. Lest bitte dieses mega tolle Buch!
Kinderlandverschickung – Was für ein interessantesThema
Lesefuchs - Bücher mit Herz aus Bargteheide am 02.08.2021
Bewertungsnummer: 1543683
Bewertet: Buch (Taschenbuch)
2019 habe ich Ihnen den ersten Roman der Autorin Michaela Küpper „Kaltenbruch“ vorgestellt – ein Roman, der ähnlich wie die Romane von Mechthild Borrmann ein Zwischending zwischen Roman und Krimi ist. Ein Roman, bei dem es um einen Mordfall im ländlichen Bereich des Rheinlands geht. Jetzt gibt es den zweiten Roman der Autorin. Und ich kann Ihnen gleich sagen, dass er anders ist und mir sogar noch besser gefallen hat.
Was wissen Sie zum Thema „Kinderlandverschickung“, auch KLV genannt? Ich wusste eigentlich gar nichts darüber. Um dieses Thema geht es in dem neuen Roman von Michaela Küpper und nicht um die Kindertransporte jüdischer Kinder nach England. Ich selbst wusste bisher, dass es so etwas während des 3. Reichs gegeben hat. Aber ich wusste nichts Genaues darüber. Und meine Eltern waren beide zu jung, so dass sie mir auch nichts darüber erzählen konnten. Ich dachte bisher, dass es darum ging, die Kinder aus den Städten aufs Land zu evakuieren, damit sie vor den Bomben der Alliierten sicher waren. Ich war der Meinung, dass sie in sehr kleinen Gruppen bei Bauern unterkommen würden und dort für ihr Essen altersgerechte Tätigkeiten ausüben müssten. Dieser Roman hat mir dazu aber die Augen geöffnet. Wobei es in diesem Roman um die sogenannte erweiterte Kinderlandverschickung geht.
Der Klappentext ist ein wenig irreführend. „Als schließlich ein Mädchen verschwindet und ein polnischer Zwangsarbeiter verdächtigt wird, kommt für die Lehrerin die Stunde der Entscheidung.“ Bei diesem Satz habe ich gedacht, dass auch dieser Roman sich wieder in Richtung Krimi entwickeln würde. Das ist aber nicht so. Und das Thema dieses aus der Inhaltsangabe zitierten Satzes kommt tatsächlich erst sehr spät im Roman zum Tragen.
Das Buch beginnt am 24. September 1945 im Bayrischen Wald. Nach 819 Tagen soll die junge Lehrerin Barbara Salzmann endlich mit den ihr verbliebenen Schülerinnen zurück nach Essen reisen. Alles ist von den Amerikanern organisiert. Doch dann kommt es zu einem dramatischen Zwischenfall. Im zweiten Kapitel springen wir die 819 Tage zurück. Die Kinder verabschieden sich am Bahnhof von ihren Müttern und steigen in den Zug. Die Stimmung ist noch aufgeregt und gut. Der Roman wechselt dann in den jeweiligen Kapiteln zwischen vier Menschen hin- und her. Die eine ist die junge Lehrerin Barbara, die ich bereits im ersten Kapitel erwähnt habe. Sie reist zusammen mit dem Rektor ihres Mädchengymnasiums, seiner Frau und seinen 2 Töchtern und 15 jungen Mädchen nach Swinemünde auf Usedom. Dort kommen sie tatsächlich in einem Hotel unter und haben das Gefühl, im Schlaraffenland gelandet zu sein. Zwei weitere Hauptpersonen sind Gisela, eine Schülerin von Barbara und ihre zehnjährige Schwester Edith, die ausnahmsweise mit ihrer großen Schwester mitreisen darf. Gisela schreibt Tagebuch, so dass wir dadurch einen guten Einblick auf die Sicht der Schülerinnen bekommen. Und Edith ist mit der ganzen Situation psychisch überfordert. Durch sie lernen wir viele Ängste der Kinder kennen. Und dann gibt es noch Karl, der aus Berlin stammt und ebenfalls mit seiner Klasse in Swinemünde gestrandet ist.
Die einzelnen Gruppen bekommen immer einen Lagermannschaftsführer, d.h. streng vom System geschulte Jugendliche aus der Hitlerjugend. Zwar hatten die Lehrer als Lagerleiter die oberste Befehlsgewalt, aber das Lagerleben bestimmten die Lagermannschaftsführer. Und das, was sie mit den Kindern machten, war teilweise schon sehr heftig. Besonders bei den Jungen. Und deshalb ist gerade die Geschichte von Karl ausgesprochen spannend, aber auch erschütternd. Die Mädchen- und Jungenklassen treffen während ihrer Odyssee immer wieder einmal aufeinander.
Wir folgen den vier Hauptpersonen und vielen Nebenpersonen von 1942 bis kurz nach dem Kriegsende. Sie müssen des Öfteren die Lager wechseln, weil auch die Lager nicht vor Luftangriffen verschont bleiben. Und nicht alle Lager sind so idyllisch wie das erste.
Mich hat diese Geschichte sehr schockiert und erschüttert. Die Kinder waren in dieser schrecklichen Zeit auch noch von ihren Familien getrennt. Und wenn es das Schicksal ganz schlecht mit ihnen meinte, erfuhren sie von ihren Lehrern, dass die Väter gefallen oder die daheim gebliebenen Angehörigen im Bombenkrieg umgekommen waren. Ich möchte nicht wissen, was für Lehrkräfte zumeist dort mitgereist sind. Ich denke, dass solche Lehrkräfte wie die Barbara hier im Roman eher die positive Ausnahme waren. Und dann der Einfluss, den die Lagermannschaftsführer hatten. Sie waren waschechte Nazis, die voll hinter dem System standen und ihre Macht genossen. Sie sollten die Kinder im Sinne der Nationalsozialisten drillen, so dass sie die ideale Gefolgschaft für den Führer würden.
Dieses Buch hat mich einmal mehr mit einem Thema des 3. Reichs konfrontiert, das ich so noch nicht kannte. Michaela Küppers hat viel recherchiert und daraus einen ausgesprochen spannenden, aber auch erschreckenden Roman geschrieben. Sie beleuchtet einen weiteren perfiden Aspekt, wie die Nationalsozialisten versuchten, sich die Menschen so zu formen, wie sie sie brauchten. Eine zutiefst traurige Geschichte.