Das Leben der 30 jährigen Ayda Ismailow wird 1999 durch einen Brief auf den Kopf gestellt. Sofia, ihre Pflegemutter sitzt nach einem gewaltigen Erdbeben östlich von Istanbul in einem Feldspital fest. Sie behauptet, sie sei in Wirklichkeit ihre Grossmutter. Ayda, die bisher nichts über ihre Herkunft wusste, reist Hals über Kopf von Zürich ins Katastrophengebiet. Vor der Kulisse der bebenden Erde und einer brennenden Erdölraffinerie erzählt ihr Sofia die Familiengeschichte, beginnend 1912 mit Rokselana, der lebenslustigen Tänzerin aus Thessaloniki. Die Schauplätze wechseln nach Istanbul, Izmir, Paris, Berlin, Hollywood und Zürich. Gereist wird mit Vorliebe im Orientexpress, begleitet von einem gestohlenen Koffer voll Gold. Zur Familie gehören Karl, der Kunstfälscher, der von van Gogh bis Hitlers Gebiss alles fälschen kann und Moshe, der jüdische Apotheker, welcher mit dem Unglück auf du und du steht. Coco Chanel, Picasso, Dali, Atatürk, Hemingway, Hitchcock, Gebrüder McDonald und Marilyn Monroe spielen auch eine Rolle und verraten en passant, wie "das kleine Schwarze" oder der Spruch "Diamonds are for ever" entstanden, wie Salvador Dalí zu seinem gezwirbelten Schnauz und die Brüste auf das McDonalds Logo kamen. Ayda lernt ihren Grossvater, den Diamantenhändler Basil Ismailow kennen und trifft ihre eigene grosse Liebe, den türkischen Kommissar Erol, während sie die drei tiefgefrorenen Leichen im Gepäck ihrer Grossmutter loswerden muss.
Eine aussergewöhnliche Familiensaga über 4 Generationen und 111 Jahre
Das Buch erzählt die rasante Geschichte von drei Frauen, die im Zeitraum von über 111 Jahren nicht nur quer durch Europa unterwegs sind, sondern es in ihrer Unrast sogar bis an die Westküste der USA schaffen. Zum ständigen Begleiter wird nicht nur ein gestohlener Koffer mit Gold, nein, auch der eine oder andere Prominente taucht in ihrem Leben auf.
Das Cover verweist mit der alten Lokomotive, dem stabilen Koffer und der Frau, die zeitlos erscheint, die Reise, die sie alle zurücklegen. Die Geschichte wird in zwei Handlungssträngen erzählt: über Aydas Leben in der Gegenwart und über Sofia (Aydas Ziehmutter) und ihre Mutter Rokselana, deren Geschichte 1912 beginnt.
Der einnehmende Schreibstil zieht den Leser sofort in die Geschichte hinein und macht mit jedem Kapitel neugierig auf den Fortgang der Geschichte. Die Autorin schafft es dabei mit viel Wortwitz und dem Erzählen erstaunlich skurriler Vorkommnisse selbst jene Szenen glaubhaft darzustellen, die sich der Leser im wahren Leben überhaupt nicht vorstellen könnte. So kommen die ideenreichen und geschäftstüchtigen Frauen unter anderem mit Drogen- und Juwelenhandel, Schmuggel und Spionage in Berührung. Die Charaktere sind alle recht sympathisch und ihre Eigenschaften von der Autorin wunderbar beschrieben. Selbst über den langen Zeitraum eines Jahrhunderts gesehen und trotz vieler detaillierter Schauplätze verliert man sich doch nie, sondern kann der Geschichte in allen Aspekten großartig folgen.
Die rasante Reise der drei starken Frauen behandelt nicht nur ihre Lebensgeschichten; der Leser lernt ganz nebenbei und noch dazu auf recht unterhaltsame Weise die wechselhafte Geschichte des Osmanischen Reiches und Griechenlands während der letzten hundert Jahre kennen. Insgesamt verdient die vergnügliche und abgerundete Geschichte eine absolute Leseempfehlung –nicht nur für Frauen!
In 111 Jahren mit Ayda quer durch Europa...
Bewertung aus Hamburg am 25.07.2021
Bewertungsnummer: 1539089
Bewertet: Buch (Gebundene Ausgabe)
Die Autorin Yasemin Schreiber Pekin hat mit ihrem Buch „Gold, Gauner und türkischer Honig“ eine Familiensaga der vollkommen anderen Art geschrieben: wunderbar schräg, abgefahren und skurril!
Wir machen Bekanntschaft mit Ayda: Ayda Ismailov (30 Jahre alt, Juristin mit Schweizer Pass) trifft 1999 ihre Großeltern zum ersten Mal nach dem verheerenden Erdbeben in der Türkei – bzw. korrekt: ihre Großmutter kennt sie eigentlich schon ihr Leben lang – aber als Pflegemutter. „Als ich meinen Großvater kennenlernte, hielt er in seiner rechten Hand eine Pistole. An seinem spindeldürren linken Oberarm hing eine Infusion.“ (S.8) Während Ayda und ihre Großmutter Sofia im improvisierten Feldlazarett darauf warten, dass sich der Großvater wieder erholt, erzählt Sofia ihrer Enkeltochter die Familiengeschichte, angefangen mit Sofias Mutter Rokselana 1912 in Thessaloniki. Aber auf die Geschichte selbst möchte ich hier eigentlich gar nicht eingehen, da ich niemals den trockenen und herrlichen Humor wiedergeben könnte, in dem das Buch geschrieben wurde.
Die Autorin „jagt“ uns Leser*innen gemeinsam mit Rokselana und Sofia, später auch mit Ayda, quer durch Europa, am liebsten im Orientexpress, da sich Sofia niemals von ihrer Pistole, einer Lady Hawk, trennt – und da sind ja auch noch die Koffer, wahlweise mit Gold, Diamanten oder Banknoten, die transportiert werden müssen, …
Auf ihren Reisen lernen sie bekannte Persönlichkeiten kennen, z.B. tanzt Rokselana kurz nach der Gründung der Türkei mit Kemal Atatürk… Und wir erfahren, wodurch Coco Chanel zum „kleinen Schwarzen“ inspiriert wurde oder auch, wie die Brüder McDonald zu ihrem Firmenlogo kamen – das hat alles natürlich mit den Damen zu tun…
Mir gefiel auch, dass sich Sofia ihren Lebensunterhalt mit Spielcasinos verdient, aber gleichzeitig die ersten Frauenschutzhäuser eröffnet, denn: so kurios die Familiengeschichte von Ayda auch sein mag, die Autorin hat historische Ereignisse immer korrekt eingebaut, so erfahren wir z.B. einiges über den Wandel der Zeit nach Gründung der türkischen Republik durch Atatürk.
Neben den Hauptpersonen gibt es auch liebe- und respektvoll beschriebene „Nebenakteure“, hier habe ich besonders die Ordensschwester Rosa in mein Herz geschlossen, sie hatte immer ganz pragmatische Lösungsvorschläge für die kompliziertesten Verwirrungen.
Das Buch liest sich sehr gut, der Schreibstil ist angenehm und flott, immer mit so einem kleinen Augenzwinkern…wie gesagt: so eine skurrile und schräge Familiensaga habe ich noch nie gelesen – aber sie hat mir sehr viel Spaß gemacht.
Wer gern eine Familiengeschichte lesen möchte, die nicht dem „normalen“ Muster entspricht, ist mit „Gold, Gauner und türkischer Honig“ bestens versorgt, ich kann es nur wärmstens empfehlen (mit einem kleinen Tipp: vielleicht sollte das Buch nicht in öffentlichen Verkehrsmitteln gelesen werden, ich habe an einer Stelle so laut losgeprustet, dass mich fast ein ganzer U-Bahn-Wagen verstört und irritiert angeschaut hat - deshalb: ich habe das Buch wirklich „in vollen Zügen“ genossen)!