Es ging rasend schnell. Der Februar 1933 war der Monat, in dem sich auch für die Schriftsteller in Deutschland alles entschied. Uwe Wittstock erzählt die Chronik eines angekündigten und doch nicht für möglich gehaltenen Todes. Von Tag zu Tag verfolgt er, wie das glanzvolle literarische Leben der Weimarer Zeit einem langen Winter wich und sich das Netz für Thomas Mann und Bertolt Brecht, für Else Lasker-Schüler, Alfred Döblin und viele andere immer fester zuzog.
Immer ganz dicht an den Menschen, entfaltet Uwe Wittstock ein Mosaik der Ereignisse und vergegenwärtigt die Atmosphäre dieser Tage, die von Angst und Selbsttäuschung unter den Schriftstellern, von Passivität bei den einen und Entschlossenheit bei den anderen gezeichnet ist. Wer schmiegte sich den neuen Machthabern an, wer muss um sein Leben fürchten und fliehen? Auf der Grundlage von teils unveröffentlichtem Archivmaterial entsteht ein ungeheuer dichtes Bild einer ungeheuren Zeit.
Faszinierendes und unglaublich gut geschriebenes Tagebuch erschreckender Ereignisse
Renas Wortwelt am 09.09.2024
Bewertungsnummer: 2288021
Bewertet: Buch (Taschenbuch)
Von seinem kürzlich erschienenen Buch „Marseille 1940“ war ich absolut begeistert und eingenommen. Eine Lesung des Autors daraus mit hochinteressanten Berichten aus seiner Recherche und spannenden Informationen über den Buchinhalt hinaus hat mich dazu bewogen, auch dieses Buch, das jetzt neu als Taschenbuch herauskam, zu lesen.
Und auch davon bin ich begeistert. Am Tag, als es bei mir ankam, nahm ich es sofort zu Hand und konnte es nicht mehr weglegen, bis ich es ausgelesen hatte. Spannender und fesselnder kann auch ein hochkarätiger Thriller nicht sein. Und die erschreckenden Parallelen zu aktuellen Geschehnissen drängen sich geradezu auf.
In Tagebuchform beginnend kurz vor dem Tag der Machtergreifung am 30. Januar 1933, erzählt Uwe Wittstock von den dramatischen und rasanten Entwicklungen, die sich vor allem für die Künstler und Schriftstellerinnen, für Journalisten und Politikerinnen ergaben. Menschen, die plötzlich Verfolgte waren, deren Bücher nicht mehr gelesen, deren Meinung nicht mehr gehört werden durfte.
Heinrich Mann, die Kinder seines Bruders Thomas, Klaus und Erika, Bertold Brecht, Hermann Kesten, Erich Kästner, Erich Maria Remarque, die Liste ist lang, die Liste der Namen derer, die sich plötzlich mit der alles entscheidenden Frage konfrontiert sahen: Gehen oder bleiben.
Else Lasker-Schüler oder Käthe Kollwitz, Alfred Döblin und Walter Mehring, Egon Erwin Kisch, sie alle mussten Verfolgung und schlimmeres befürchten. Und dann gab es noch die, die meinten, so schlimm werde es ja nicht werden, man solle doch abwarten. Und dann diejenigen, die sich in den neuen Umständen etablierten, sich dem Druck beugten oder sich gar gemein machten mit den neuen Machthabern.
Wie so manche in der Akademie der Künste, in der Sektion der Literatur, die von dem neuen kommissarischen Kultusminister zum Ausschluss so berühmter Mitglieder wie Heinrich Mann gezwungen wird. Nur wenige der Mitglieder protestieren, wollen sich dagegen wehren, doch auch sie verstummen schließlich.
Doch es trifft nicht nur Kulturschaffende, auch Politiker werden verfolgt, verprügelt, eingesperrt, gefoltert, alles ohne Handhabe, ohne Kontrolle, verschwinden in Gefängnissen und Lagern. Es geht rasend schnell, es dauert nur wenige Wochen, es braucht nur wenige Gesetze, die Hindenburg willfährig unterzeichnet. Und jede freie Meinungsäußerung, jede Kritik am Regime, alles wird plötzlich lebensgefährlich.
Uwe Wittstock schafft es, durch die Tagebuchform eine enorme Spannung zu erzeugen, man fiebert mit den Betroffenen, hofft wider besseres Wissen, ist entsetzt über die Geschwindigkeit, mit der jede demokratische Ordnung außer Kraft gesetzt wird. Am Ende jedes Tages, den er aufzeichnet, sind, im Stil von Polizeimeldungen, kurze Notizen angefügt über die an jenem Tag in Deutschland getöteten und verletzten Menschen, bei Demonstrationen, bei Protesten, bei Schlägereien der SA und der SS.
Das Buch nimmt einem fast den Atem und die Gefahren, die einer Demokratie, die sich nicht rechtzeitig wehrt, drohen, die Gefahr, dass sich ähnliches wiederholt, sind leider so real, so gegenwärtig. So ist dieses Buch beklemmend, erschreckend und doch so ungemein wichtig, dass man sich wünscht, es würde Pflichtlektüre in den Schulen, besonders in manchen Regionen Deutschlands.
Uwe Wittstock – Februar 33: Der Winter der Literatur
C.H. Beck, April 2024
Taschenbuch, 288 Seiten, 16,00 €
Bewertung am 16.02.2024
Bewertungsnummer: 2132323
Bewertet: Buch (Gebundene Ausgabe)
Mit der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler endete am 30.1.1933 die Weimarer Republik. Bereits in den ersten Märztagen gab es die ersten Bücherverbrennungen. Sechs Wochen, die absolut alles verändert haben. Das Buch macht einfach nur betroffen und ist heute aktueller denn je.