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Mühlviertler Familienepos
Bewertung am 19.06.2022
Bewertet: Buch (Gebundene Ausgabe)
Der Roman erzählt das Schicksal der Familie Brugger und gibt einen Einblick über ihr Leben im Lauf von drei Generationen. Im Winter 1918 steht Carl plötzlich vor der Hofmühle, obwohl er im Krieg gefallen sein soll. Selbst sein Zwillingsbruder Eugen, der aus Amerika zu Besuch gekommen ist, erkennt ihn kaum wieder. Eugen hat in den USA sein Glück gemacht. Wird im Mühlviertel auch für Carl ein glückliches Leben möglich?
Das Cover ist sehr ruhig gehalten und wirkt mit seiner Landschaft und dem Gebäude im Hintergrund fast idyllisch. Allein die Spinnweben, die einen Großteil des Vordergrunds einnehmen, stechen hervor. Sie überdecken das Feld und verweisen gleichzeitig auf die verwebten Zusammenhänge der Geschichte. Das Bild spiegelt sich auch auf dem Lesezeichen wider, das aufgeklappt einen kleinen Überblick über den Familienstammbaum der Bruggers gibt. Der Roman besteht aus fünf Teilen, die jeweils zwei der handelnden Personen als Überschrift tragen. Die Kapitel haben eine angenehme Länge, der Schreibstil ist beschreibend.
Bereits der Einstieg ins Buch ist von ruhigen, aber auch gefühlvollen Beschreibungen geprägt. Man findet sich sofort in die Geschichte ein. Die große Stärke der Autorin liegt in diesem Roman in ihrem schleifenförmigen Erzählen. Kaum meint man, das Schicksal bestimmter Personen sei nun abgeschlossen, greift sie es im nächsten Abschnitt aus einer anderen Sichtweise wieder auf. Szenen werden dabei öfter wiederholt, ohne aber jemals langweilig zu wirken. Im Gegenteil, je mehr man im Nachhinein über gewisse Vorkommnisse erfährt, desto klarer und interessanter werden die Zusammenhänge.
Die Charaktere sind lebensnah und detailliert beschrieben. Einige findet man auf Anhieb sympathisch, andere rufen ein gegenteiliges Gefühl hervor. Im Lauf des Buches, hervorgerufen durch eine Art Rückwärtserzählen, kann diese Sicht sich aber durchaus ändern. Geschichtliche Zusammenhänge und die Lebensumstände der Vergangenheit werden wie nebenbei in die Geschichte eingearbeitet, ohne lehrbuchmäßig zu klingen.
Insgesamt handelt es sich um ein sehr lesenswertes Buch, mit Verwicklungen und Missverständnissen, die eben zum Leben gehören. Dennoch ist die Geschichte durchgehend spannend und fesselnd gehalten. Obwohl der Roman in sich abgeschlossen ist, lässt er doch auf eine Fortsetzung der Familiengeschichte hoffen.
Komplexe Familiensaga
Sikal am 19.06.2022
Bewertet: Buch (Gebundene Ausgabe)
Im Mittelpunkt des Romans „Über Carl reden wir morgen“ von Judith W. Taschler steht die Geschichte der Familie Brugger, die im oberösterreichischen Mühlviertel heimisch ist. Der Lebensunterhalt wird durch eine Mühle verdient, erst der Sohn Albert erweitert den Betrieb um ein Warenhaus und verhilft so der Familie zu Wohlstand und Anerkennung.
Das Buch beginnt 1828 mit Alberts Vater Anton Brugger und dessen Schwester Rosa, die es nach Wien verschlägt. Dabei dürfen wir einerseits erfahren mit welchen harten Bandagen am Land gekämpft wird und andererseits aber auch wie sich zu dieser Zeit die Schere zwischen arm und reich auseinanderzieht. Besonders bei Rosa, die in der Stadt ihr Glück versuchen möchte, wird diese Schere sehr gut dargestellt und wir erfahren mit welch grausamen Mitteln Arme ganz klein gehalten werden.
Wir dürfen abwechselnd den einzelnen Familienmitgliedern für einen Zeitraum folgen und erfahren über deren Schicksale, aber auch über Glück und Lebensträume. Der titelgebende Carl taucht erst spät im Roman auf, man begleitet ihn während des Ersten Weltkrieges und erfährt einiges über die Schrecklichkeiten. Währenddessen versucht sein Zwillingsbruder Eugen in Amerika sein Glück – doch dann hat das Leben für die beiden eine überraschende Wendung parat.
Während des Romans trifft man auf viele unterschiedliche Personen und Verzweigungen der Familie. Die vielen Namen verwirren anfangs und so darf man froh sein, ein Lesezeichen mit Stammbaum neben sich zu haben, um dem Geschehen uneingeschränkt folgen zu können. Viele verschiedene Themen werden in die Geschichte eingeflochten – die Rolle der Frau, gesellschaftliche Veränderungen, die Auswanderungswelle nach Amerika sowie natürlich der Erste Weltkrieg.
Die Autorin schreibt mit bildgewaltiger Sprache und fesselt durch überraschende Wendungen. Gekonnt verknüpft sie die jeweiligen Erzählstränge, die sich zu einem großen Ganzen verbinden. Trotzdem wird ihr Schreibstil nie reißerisch sondern bleibt obgleich der Grausamkeiten, die das Leben zu bieten hat, immer ruhig.
Die Figuren sind allesamt authentisch gezeichnet mit Stärken und Schwächen, wobei so mancher ein Geheimnis durch das Leben trägt, welches man nicht vermutet hätte. Andere dafür entwickeln sich im Laufe der Zeit zu einem besseren Menschen – auch wenn hier nicht immer alles so ist wie es scheint. Auf jeden Fall folgt man gerne den Familienmitgliedern auf ihrem Weg, begegnet ihnen im Laufe der Zeit immer wieder und versteht so manche Szene erst im Nachhinein.
Ein eindrucksvoller Familienroman über Liebe, Vertrauen, Freundschaft, Verbundenheit aber auch Verlust und Tod. Für mich unbedingt ein Jahreshighlight. Daher gibt es von mir natürlich 5 Sterne und eine Leseempfehlung.