Emmie Arbel überlebte als kleines Mädchen die Konzentrationslager Ravensbrück und Bergen-Belsen. David Schaffer entkam dem Genozid in Transnistrien, weil er sich nicht an die Regeln hielt. Die Brüder Nico und Rolf Kamp versteckten sich in den Niederlanden dreizehn Mal vor ihren Mördern. Zusammen mit den Überlebenden haben drei international bekannte Zeichner:innen deren Geschichten in Graphic Novels erzählt, die unvergesslich vor Augen führen, was der Holocaust für Kinder bedeutete und nicht nur für sie.
Nur wenige Zeitzeugen des Holocaust leben noch. Die meisten von ihnen haben Verfolgung und Massenmord als Kinder traumatisch erlebt. Dieses Buch will die Erinnerung an den Holocaust in der Zusammenarbeit von Überlebenden und Zeichner:innen auf ungewöhnliche Weise bewahren und weitergeben, gerade auch an eine junge Leserschaft, indem es eingespielte Sehgewohnheiten und Bilder vom Holocaust aufbricht. Ausgewiesene Zeithistoriker:innen erklären in knappen, instruktiven Nachworten den Kontext der Geschichten, die aber auch ohne solche Erläuterungen unmittelbar und auf ergreifende Weise ein unfassbares Geschehen lebendig werden lassen.
Empfehlung von Herzen, denn: Nie wieder ist jetzt!
lesenmitausblick am 07.02.2024
Bewertungsnummer: 2125765
Bewertet: Buch (Gebundene Ausgabe)
Seit meiner Jugend gibt es ein Thema, mit dem ich mich immer wieder auseinander setze. Das mich beschäftigt und nicht loslässt, weil es so unvorstellbar grausam ist. Als ich auf die Graphic Novel „Aber ich lebe – Vier Kinder überleben den Holocaust“ aufmerksam wurde, waren die Recherchen der Correctiv-Redaktion noch nicht bekannt. Das Erinnern gegen das Vergessen ist nun tatsächlich noch einmal wichtiger denn je geworden.
Deshalb lege ich euch „Aber ich lebe“ aus dem C.H.Beck Verlag sehr eindringlich ans Herz. Die Graphic Novel wurde von Charlotte Schallie herausgegeben. Drei namhafte Zeichner*innen haben sich mehrmals mit vier Kinderüberlebenden getroffen. Barbara Yelin besuchte Emmie Arbel, Miriam Libicki sprach mit David Schaffer und Gilad Seliktar lernte die Geschichte der Brüder Nico und Rolf Kamp kennen. Übersetzt hat Rita Seuß. Das vorliegende Buch entstand im Rahmen eines Forschungsprojekts, an dem auch Fachleute für Holocaust- und Menschheitspädagogik, Historiker*innen, Lehrer*innen, Bibliothekar*innen und weitere über drei Jahre arbeiteten. Es enthält einen sehr umfangreichen Anhang, der einen Blick hinter die Kulissen gewährt. Wie gestaltete sich die Zusammenarbeit zwischen den Zeichner*innen und den Überlebenden? Was hat die Auseinandersetzung mit den Geschichten mit ihnen gemacht? Auch die Überlebenden kommen zu Wort. Die historischen Hintergründe werden genauer beleuchtet und ermöglichen eine Einordnung dessen, was die Überlebenden berichten.
„Aber ich lebe“ ermöglicht es so, sich sehr intensiv mit den Schicksalen der vier Kinderüberlebenden auseinanderzusetzen, und das aus ganz verschiedenen Perspektiven.
Im Zentrum des Buches aber stehen die Zeichnungen, die Bilder, das visuelle Erzählen in Form einer Graphic Novel. Einerseits, weil Kindheitserinnerungen oft Bildfetzen sind. Andererseits, weil es auch eine sehr intensive Erzählform für die Lesenden der Graphic Novel ist. Es heißt nicht umsonst, Bilder erzählen mehr als Worte. Die Zeichner*innen unterscheiden sich dabei durch ihren ganz eigenen Zeichenstil, ihre eigene zeichnerische Handschrift, ihre eigene Art der Herangehensweise. Manchmal ist es nur ein angedeuteter Pinselstrich, ein Blick, eine Haltung, die mehr sagen, als Worte. Die den Lesenden betroffen zurücklassen. Die vier Schicksale erzählen von ganz unterschiedlichen Überlebenskämpfen. Während Emmie Arbel als Viereinhalbjährige ins Lager Westerbork kam und die Hölle von Bergen-Belsen durchleben musste, entkam David Schaffer dem Genozid in Transnistrien. Er erzählt davon, dass er Schwierigkeiten mit dem Wort „Widerstand“ hat. Denn jeder, der offen Widerstand leistete, wurde getötet. Sein Widerstand bestand darin, Regeln zu missachten. Er leistete Widerstand, um zu überleben. Sein Überleben war Widerstand gegen die Nazis. Emmie Arbel mag den Begriff „Überlebende“ gar nicht, weil er impliziert, sie wäre schwach gewesen. Dabei ist es das Gegenteil: Sie ist stark. Die Brüder Nico und Rolf Kamp aus Amsterdam mussten als jüdische Kinder untertauchen, wurden in dreizehn verschiedene Verstecke gebracht. Immer von Angst und steter Lebensgefahr bedroht. Dabei haben die Brüder ganz unterschiedliche Erinnerungen. Auch Emmie Arbel spricht viel davon, dass sie sich nicht erinnert. Sie weiß vieles, aber sie erinnert sich nicht. Das einzige, was ihr von ihrer Mutter geblieben ist, ist ein Zuckerlöffel. Die Dose mit dem Zuckerlöffel steht immer auf dem Küchentisch, obwohl sie ihren Kaffee gar nicht mit Zucker trinkt. Doch diesen Löffel hat ihre Mutter einmal berührt.
„Aber ich lebe“ bietet eine andere Art der Erzählweise. Ich glaube, jede/r Lesende wird hier mit ganz persönlichen, individuellen Leseeindrücken zurückbleiben. Manchmal ist es ein Satz, manchmal ein Bild, ein Blick, was sich besonders einprägt. Die Art der Auseinandersetzung mit dem Holocaust, die Verbindung aus Gegenwart und Geschichte, aus bildlicher Erzählweise und Hintergrundinformationen ist sehr wertvoll und einprägsam. Was selbst Kindern angetan wurde, was sie haben sehen und ertragen müssen – das darf nicht in Vergessenheit geraten. Das darf sich nie wieder wiederholen! Warum müssen wir das gerade jetzt, im Jahr 2024, immer wieder so eindringlich aussprechen? Die Schrecken des Zweiten Weltkriegs und des Holocausts sollten doch ein ganz klares „Nie wieder!“ nach sich ziehen.
Berührende Geschichten
Bewertung am 11.02.2023
Bewertungsnummer: 1877315
Bewertet: Buch (Gebundene Ausgabe)
Mich haben die dargestellten Geschichten sehr berührt, die Zeichnungen sind von hoher Qualität und man sieht die liebevolle Beschäftigung mit jedem Detail. Vielen Dank für dieses tolle Buch!