Statt die Weltmeere zu bereisen und fremde Länder zu erkunden, fristet die Crew des Feuerschiffs Texel ein Leben an der Ankerkette. In der öden Alltagsroutine bilden die ausgefallenen Gerichte des verschrobenen Schiffskochs die einzigen Lichtblicke. Doch das Ziegenböckchen, das der Koch als Hauptzutat seines nächsten Menüs lebendig mit auf das Schiff bringt, setzt eine unerwartete Dynamik in Gang: Für Teile der Mannschaft wird es vom Proviant zum Kameraden, anderen gegenüber zeigt es seine diabolische Seite und löst inmitten dichter Nebelschwaden Chaos an Bord der Texel aus. Und als der Nebel sich endlich lichtet, offenbart sich ein mysteriöser Todesfall ...
Mit lakonischem Humor und literarischem Tiefgang entführt uns Mathijs Deen auf sein fest verankertes Narrenschiff, auf eine Reise ohne Ziel, über ein Meer von skurrilen Begebenheiten.
Das Feuerschiff „Texel“ liegt weit vor der holländischen Küste vor Anker. Ähnlich wie ein Leuchtturm dient es anderen Schiffen zur Navigation und bewegt sich nie von seiner Position fort. Für die Crew bedeutet das oft einen langweiligen Alltag, meist fiebern sie dem Ende des mehrwöchigen Einsatzes entgegen. Eines Tages bringt Koch Lammert ein Ziegenböckchen mit an Bord, es soll die Hauptzutat seines nächsten großen Menüs werden. Doch das Tier ist bald der Liebling der Mannschaft.
Die Atmosphäre auf dem Schiff ist perfekt eingefangen. Die Männer leben auf engstem Raum, oft mit einem eintönigen und öden Alltag und sind dem Wetter komplett ausgeliefert. Das Feuerschiff kann seine Position nicht verlassen und bei zu hohem Wellengang vom Festland nicht erreicht werden. Gefährlich kann das bei dichtem Neben werden, da schiebt sich dann schon mal ein meterhohes Frachtschiff ganz nah am Feuerschiff vorbei.
Mich hat die kurze Geschichte mit kleinen Einschränkungen gut unterhalten. Nach einem sehr starken Beginn verläuft sich der Spannungsbogen im letzten Drittel etwas. Vieles wird nur angedeutet und die Hintergründe muss man sich zusammenreimen. Passend zur Handlung gibt es auch sehr viele nautische Fachbegriffe, mit den meisten konnte ich nichts anfangen und musste Google bemühen oder aus dem Kontext raten.
Das Ende ließ mich dann sehr ratlos zurück und war nicht nach meinem Geschmack. Wobei ich bei Kurzgeschichten oft mit dem Ende hadere.
In der Kürze liegt die Würze!
https://lieslos.blog/ am 12.06.2022
Bewertungsnummer: 1728988
Bewertet: Buch (Gebundene Ausgabe)
Mit Beginn der Lektüre befinden wir uns auf dem Feuerschiff Texel.
Da ich als Schwäbin und Landratte mit nautischen Begriffen nur wenig anfangen kann, musste ich erst mal recherchieren, um schließlich zu erfahren, dass es sich dabei um ein vor Anker liegendes, mit einem Leuchtfeuer ausgestattetes Schiff handelt, das ähnlich wie ein Leuchtturm der Navigation der Seeschifffahrt dient.
Prima, schon wieder was gelernt!
Wir befinden uns also auf dem Feuerschiff Texel, das in der Nordsee vor der niederländischen Gemeinde Den Helder vor Anker liegt.
Der knapp 35-jährige Schiffskoch Lammert hat die Matrosen und Maschinisten gerade mit Haschee versorgt.
Dann schwenkt die Kamera weiter. 2 Wochen Freitörn.
Der Schiffskoch Lammert verbringt die freie Zeit in seinem Häuschen in einem ruhigen Warftdorf in der Nähe des Meeres.
Eines Morgens holt Lammert das Kochbuch seiner Mutter vom Dachboden. Er sucht und findet darin das Rezept von „Gulai kambing“: „Ziegencurry, aber von einem Böckchen, das noch nicht entwöhnt ist. Wenn man das einmal gekostet hat, weiß man, wie zart Schmorfleisch sein kann. Das vergisst man nie wieder.“ (S. 13)
Kaum ist die Idee geboren, dieses Gericht auf dem Schiff zu kochen, besorgt er sich bei Beitske, der einzigen Bäuerin im Dorf, ein Ziegenböcklein.
Einige Zeit später sitzt der Koch mit genau diesem Ziegenböcklein in seiner Kombüse und schält Kartoffeln.
Und noch ein bisschen später öffnet er eine Zigarrenkiste, die er aus seinem Seesack hervorgekramt hat. „Schnell überdeckten ungewöhnliche Aromen den Tabakgeruch und füllten die Kombüse. Der Duft von Zimt und frischer Muskatnuss war weiter nichts Besonderes, aber Zitronengras, Kokos, Kardamom, Kemirinuss, Koriander, Kreuzkümmel, ja sogar Ingwer und Kurkuma waren noch nie auf dem Feuerschiff gewesen. Das Böckchen schnupperte neugierig.“ (S. 33)
Tja… wenn das Böckchen wüsste.
Wie die Geschichte weitergeht verrate ich natürlich nicht. Nur so viel: Das Zicklein beginnt bald, den Matrosen nachzulaufen, bringt den Alltag auf dem Feuerschiff gründlich durcheinander und letztlich endet alles anders als gedacht…
Thematisch spielen Fieberwahn und wahnhafte Psychose keine kleine Rolle und wir lernen den einsamen und öden, manchmal aufgrund des Wetters auch gefährlichen Alltag der Seemänner auf einem Feuerschiff kennen. Seemänner, die dem Gerede der Leute nach aber gar keine richtigen Seemänner sind: „Die Leute sagen, wir wären hier nicht auf See, weil wir nirgendwo hin fahren…Aber wir sind hier mehr auf See als alle Anderen zusammen. Wir leben auf See, die Anderen sind nur auf dem Wasser zu einem Hafen unterwegs, zu einem Ort, an dem es keine See mehr gibt. Für sie ist die See eine Unterbrechung, für uns ist die See eine Bestimmung.“ (S. 91)
Es werden schmerzhafte Kindheitserlebnisse angedeutet.
Der Schiffskoch Lammert war, so habe ich mir das zusammengereimt, im Krieg zwischen den Niederlanden und Indonesien (1945-1949) ein kleiner Junge. Aus dieser Zeit stammt wohl das Rezept des oben erwähnten indonesischen Gerichts.
Der Seemanns Snoek, der im Laufe der Geschichte wahnhaft wird ist wohl ein unerwünschter und ungeliebter Lehrerssohn.
Die Geschichte um Lammert und das Böcklein ist fesselnd und sehr unterhaltsam, manchmal fast witzig, letztlich dramatisch.
Die lebendigen Beschreibungen erwecken die Szenen zum Leben, die Bilder und Metaphern sind ausdrucksvoll und die Sprache ist schön und gediegen.
Das Feuerschiff Texel existiert übrigens wirklich. Es ist das älteste Feuerschiff der Niederlande und war von 1952 bis 1992 im Dienst. Seither ist es ein Museumsfeuerschiff, das im Museumshafen Willemsoord in Den Helder liegt.
Mir hat dieses schmale Bändchen nicht zuletzt wegen seinen überraschenden Wendungen äußerst gut gefallen. Es ist eine um die 100 Seiten kurze, intensive und packende Geschichte, die mich prima unterhielt und mich in eine mir ziemlich fremde Welt entführte.