Die Ehe normiert Beziehungen und Familie, kontrolliert Sexualität, den Besitz und die Arbeitskraft. Sie ist eine wichtige Stütze des Kapitalismus und lässt uns in binären Geschlechterrollen verharren. In ihrem mutigen und provokanten Buch ruft Emilia Roig daher das Ende einer patriarchalischen Institution aus. Sie hinterfragt die Übermacht der Paare und untersucht, ob man Männer lieben und zugleich das Patriarchat stürzen kann. Letztlich wäre eine Abschaffung der Ehe nicht nur für Frauen befreiend, sondern für alle. Denn nur dann können wir Liebe in Freiheit und auf Augenhöhe miteinander neu denken und leben.
Interessantes und wichtiges Thema, handwerklich schlecht, inhaltlich durchwachsen und ohne Alternativen
Bewertung am 01.02.2024
Bewertungsnummer: 2121304
Bewertet: Buch (Gebundene Ausgabe)
Die Autorin hat sich mit ihrem Buch viel vorgenommen und dies, meiner Meinung nach, nur unzureichend umgesetzt.
Sie essenzialisiert Konzepte (insb. Männlichkeit), Gruppen (wie „Frauen“ und „Männer“ und „homosexuelle Menschen“) und ihre Interessen und Bedürfnisse so sehr, dass die seltenen Hinweise darauf, dass ‚nicht alle so sind‘ entweder als selbst oder die verabsolutierten Verallgemeinerungen als unglaubwürdig verstanden werden müssen. Grauzonen, Widersprüchlichkeiten und alternative Konzeptionen und Interessen spielen keine Rolle, sodass die Lektüre stellenweise realitätsfern oder mutwillig unterkomplex erscheint. So heiraten alle gleichgeschlechtliche Paare scheinbar nur, um endlich Anerkennung durch den Staat zu erfahren, weil sie traumatisiert sind und sich dadurch Sicherheit versprechen – echtes Interesse an einer monogamen Langzeitbeziehung und eine (möglicherweise subversive und transformierende) Aneignung ursprünglich cis-heterosexueller Riten oder schlicht der Spaß am Fest ist scheinbar ausgeschlossen. Männer, insb. die misogynen, sind heimlich schwul, weil die Idealisierung von als männlich verstandenen Eigenschaften keinerlei andere Gefühle als ein unterdrücktes homosexuelles Begehren hervorrufen kann. Alle Frauen und alle Männer werden von Anfang an auf die Ehe vorbereitet und es ist das Größte, was sie sich vorstellen und wünschen können, obwohl es den Frauen nicht gut tut und die Männer die Frauen gar nicht lieben können und wollen. Niemand scheint heiraten zu wollen, obwohl sie es wollen.
Ihre stark verabsolutierten Behauptungen und Beschreibungen untermauert sie dann mal mit Quellen, die mal die us-amerikanischen, mal die französischen, mal die deutschen Umstände beschreiben (als ob es zwischen diesen Gesellschaften keinerlei signifikanten Unterschiede gäbe) und meist mit anekdotischer Evidenz, wenig mit Studien oder Statistiken oder oft auch gar nicht. Die Nachvollziehbarkeit ihrer Befunde begrenzt sich somit oft auf die Frage des Vertrauens gegenüber der Autorin, mit der Konsequenz, dass die gerechtfertigte Forderung nach einer Ermöglichung alternativer Lebens- und Beziehungsmodelle sowie das Aufbrechen von Normen von Geschlecht und Sexualität durch „Das Ende der Ehe“ keine neuen Freunde gewinnen wird.
Nach fast 350 Seite Kritik und gelegentlichem tiefen-psychologischen Geschwafel werden auf 10 Seiten die Schlagwörter feministische Steuer, Abschaffung des Ehegattensplittings, Ausweitung der ehelichen Rechte, Pflichten und Privilegien auf mehr Beziehungsformen und staatliche Förderung privater Care-Arbeit, solidarisch-feministische WGs, Abolitionismus (und als Konsequenz Anarchismus?) und eine Abkehr von dem auf Profit ausgerichteten Kapitalismus genannt, für die dann aber leider keine Seiten mehr übrig waren, um in irgendeiner Art und Weise auf die Konsequenzen oder die, etwas über die Nennung von bzw. Anspielung auf Konzepte hinausgehende, Erläuterung der Umsetzung einzugehen – schade, warum?
Leider wurde ein interessanter Problemherd unserer Gesellschaft handwerklich schlecht, inhaltlich durchwachsen und ohne Alternativmodelle, die ihren Namen verdient hätten, in diesem Buch insgesamt unzufriedenstellend bearbeitet.
Sehr gute Ansätze für ein besseres Zusammenleben...
nicigirl85 aus Ilsenburg am 08.01.2024
Bewertungsnummer: 2105082
Bewertet: Buch (Gebundene Ausgabe)
Für meinen Geschmack passt der Untertitel "Für eine Revolution der Liebe" deutlich besser und klingt weniger radikal und provozierend, aber da das Thema dringend mal auf den Tisch gehört, sind der Bildschlagzeilentitel und die Neonfarben wahrscheinlich Pflicht.
In diesem Sachbuch zeigt Emilia Roig anhand von eigenen Erfahrungen, Studien und Expertenmeinungen dem Leser auf, was die Ehe wirklich ist und welchen Einfluss das Patriarchat darauf hat. Der große Traum eines jeden kleinen Jungen und Mädchens, so scheint es, ist die eine, richtige Person zu finden, die uns ein Leben lang treu ergeben ist, all unsere Bedürfnisse erfüllt und mit der wir natürlich den Bund der Ehe schließen wollen. Aber ist das überhaupt realistisch? Wo kommt dieses enorme Bedürfnis überhaupt her? Warum sieht die Realität außerhalb von Hollywoodfilmen komplett anders aus, nämlich lieber unglücklich verheiratet als glücklich ohne Trauschein oder vielleicht als Single zu sein?
Das Buch ist so umfassend und detailreich, dass es alles andere als leichte Kost ist. Teils ist man beim Lesen mit Feuer und Flamme dabei, teils fühlte ich mich etwas überfahren von den vielen weiteren Themen wie non binär, gleichgeschlechtlicher Ehe und Co, die ja auch alle irgendwo mit dem Thema zu tun haben, die einem aber gar nicht als erstes in den Sinn kommen und dennoch so wichtig sind, damit eben auch einfach alle und nicht nur manche gemeint sind.
Bedrückt haben mich vor allem die persönlichen Erfahrungen der Autorin, schlichtweg weil ich genau eins zu eins dieselben Erlebnisse durchmachen musste während meiner eigenen Scheidung. Da lernt man sich dann erst richtig kennen. Und wahrscheinlich sind die finanziellen Hürden extra so scharf eingestellt, dass man sich das Trennen fünf Mal überlegt, ob dies wirklich zwingend notwendig ist oder man sich nicht anderweitig arrangieren kann.
Natürlich ist der Wunsch nach einer festen Bindung etwas, dass sich jeder erträumt, aber vielleicht sollte dies auf Augenhöhe passieren. Dabei geht es nicht nur um die Unterschiede zwischen Mann und Frau und deren Stellung in der Gesellschaft, sondern auch um wieviel mehr die Benachteiligung aussieht bei queeren Menschen, all jenen aus der PoC Community und und und. Die Autorin gibt hier enorm viele Denkanstöße, wie es laufen könnte, was den interessierten Leser doch sehr ins Grübeln bringt.
Und die wichtigste Botschaft, die ich aus dem Buch für mich mitgenommen habe: Vielleicht sollten nicht wirtschaftliche Vorteile und Finanzen im Fokus stehen, was die Ehe betrifft, sondern die Liebe, das Miteinander, das Füreinanderdasein. Irgendwie scheint das in der heutigen Gesellschaft bei all dem Stress verloren gegangen zu sein. Und vielleicht geht jeder mal wertfreier mit seinen Mitmenschen um und kehrt vor der eigenen Haustür und hinterfragt seine Entscheidungen anstatt andere zu verurteilen warum jene sich trennen oder andere allein leben. Niemand kann so ohne weiteres hinter die Fassade eines anderen schauen. Es wird Gründe geben, die jedoch ausschließlich das Paar betreffen und nicht als willkommene Unterhaltung für andere dienen sollen.
Zudem wünsche ich mir, dass dieser Titel nicht als Schmährede auf die Männer verstanden wird, sondern als eine mögliche Sichtweise wie die Ehe ist, wem sie dient und wem sie wohlmöglich eher schadet.
Fazit: Ein wichtiges Thema spannend und mit lauter Stimme fesselnd erzählt. Dürfte gern Pflichtlektüre vor jeder Eheschließung werden, damit sich jeder bewusst wird wofür er es macht und nicht nur dem Traum aus dem Disneymärchen hinterher jagt, sondern alle Pflichten, Licht- und Schattenseiten kennt.