Die Auseinandersetzung um Migration und Integration, um Flüchtlings- und Asylpolitik ist angesichts des neuen Zuwanderungshochs wieder in vollem Gange. Gleichzeitig aber gibt es keine europäische Asylpolitik, sind die Aussengrenzen der EU löchrig, geht die Bundesregierung von überzogenen Zahlen für die qualifizierte Einwanderung aus, werden die Alarmrufe der Städte und Kommunen kleingeredet, wächst das Unbehagen von immer grösseren Teilen der Bevölkerung. Die Autoren und Autorinnen dieses Bandes zeichnen die aktuellen Entwicklungen im Asylsystem, beim Thema Fachkräftezuwanderung oder bei der Versorgung von Flüchtlingen nach. Sie plädieren für eine realistische Perspektive, damit die humanitären Notwendigkeiten und die positiven Effekte von Zuwanderung ebenso wie die Belastungen und Gefährdungen für die Gesellschaft benannt und diskutiert werden können.
Der Klappentext verspricht einen Beitrag zur substanziellen und offenen Debatte zu Migrationsfragen - und weckt damit eine Erwartungshaltung, die das Buch nicht annähernd erfüllt.
Vorab sollte man wissen, dass Cicero, dessen Mitarbeiter für die Herausgabe verantwortlich zeichnen, ein deutsches Monatsmagazin mit wirtschaftsaffiner Ausrichtung ist. Oder, um es mit Noam Chomsky zu sagen: mit Ausrichtung zugunsten der Geschäftswelt.
Also wird gleich in den ersten Beiträgen klargelegt: Es geht nicht um eine Einschränkung oder gar Verhinderung von Migration. Es geht um eine Änderung der Migration - weg von "ungeregelter" hin zu „geregelter“ Migration, vorzugsweise von "Fachkräften", die "wir" brauchen (Stelter, 52).
Spätestens an diesen Stellen (Koopmans, Stelter) wird evident: Die sehr vordergründigen Interessen der Geschäftswelt an Migration als Umsatz- und Gewinnbeschleuniger sollen nicht angetastet werden! Im Gegenteil, sie sollen durch eine Änderung der Migration gefördert werden!
Die Methoden, diese Interessen der Leserschaft zu vermitteln und sie nach Möglichkeit dafür zu gewinnen, sind auf herkömmliche Art pattitüdenhaft. Partikularinteressen von Unternehmen an einer möglichst hohen Zahl von Konsumenten und (billigen) Arbeitskräften werden als Interessen der Allgemeinheit und des Gesamtstaates dargestellt. Daher „braucht Deutschland Zuwanderung“ (Koopmans 39) und fehlen „uns“ 2,8 Millionen Arbeitskräfte bis 2030 (Stelter 48). Warum den Staat eine Verpflichtung treffen soll, der Geschäftswelt Konsumenten und Arbeitskräfte zum Zweck der Gewinnmaximierung zur Verfügung zu stellen, dies auch noch im Wege von Migration, wird allerdings nicht erläutert.
Zugute zu halten ist dem Buch, dass einzelne Beiträge Informationen enthalten, die dem breiten Publikum bisher kaum oder gar nicht zugänglich waren. Beispielhaft hiefür ist die Schilderung eines Bürgermeisters (Palmer 62) über seine ortsansässige Bevölkerung, die über zehn Jahre „mit größten Anstrengungen“ den Bau preisgebundene Wohnungen finanziert hat – und „dieser gesamte Zubau nun durch Geflüchtete belegt ist“. Erhellend auch die Darstellung, dass durch politisch motivierte Forschung eine alternative Realität geschaffen wird (Mansour 97) oder jene, wie säkular ausgerichtete Migranten unter den Einfluss und die Repression religiöser geraten und die Politik die Wahrnehmung ihrer Ordnungsfunktion mit der Begründung ablehnt, das wäre „Rassismus“ (Evisen 109).
Was aber gänzlich fehlt ist eine Auseinandersetzung mit grundlegenden und für eine autochthone Bevölkerung existentiellen Fragen der Folgen der Migration. Migrationsbedingt stieg die Bevölkerung in Deutschland von 79,75 Mio im Jahr 1990 auf 84,7 im Jahr 2023, die entsprechenden Zahlen für die Schweiz lauten 6,75 und 8,96, für Österreich 7,67 und 9,16. Die Bevölkerungsdichte in Deutschland und der Schweiz liegt jenseits von 220. Sind solche Staaten über eine Kurzzeitbetrachtung hinaus überlebensfähig? Wo liegt die Grenze der ökologischen Belastbarkeit? Welche Folgen haben diese Steigerungen für den Boden- und Landschaftsverbrauch? Welche für die energetische Sicherheit? Welche für den Bestand tierischer und pflanzlicher Arten?
Keiner dieser Fragen wird auch nur im Ansatz nachgegangen. Gänzlich unbeachtet bleibt ferner das Problem der Verteilung von Sozialleistungen auf der Basis von Beiträgen und Steuern der im Inland arbeitenden Bevölkerung auf nicht arbeitende Migranten – allerdings hunderttausendfach und bis hin zum Systemversagen, aktuell etwa in Teilen der Krankenversicherung.
Im Ergebnis wird das Buch seinem Anspruch in keiner Weise gerecht. Einigen Beiträgen kann Erkenntniswert für Leser nicht abgesprochen werden. Den mit den Folgen geregelter oder ungeregelter Migration einhergehenden existentiellen Fragen widmet das Werk jedoch keine Zeile. Die Darstellung von Interessen der Geschäftswelt als solche der Allgemeinheit mag journalistische Praxis des Boulevards sein, im gegebenen Zusammenhang provoziert sie manchen Leser.
Zwei Sterne für jene Beiträge, deren Lektüre eine Erkenntnisverbreiterung nicht abgesprochen werden kann.