Worms, Anfang der zwanziger Jahre des letzten Jahrhunderts. Peter Bender, ehemals Fliegerleutnant des Deutschen Heeres, macht sich als Gründer einer neuen Religionsgemeinschaft und mit der Proklamation der sogenannten Hohlwelt-Theorie einen Namen: Die Menschheit lebe nicht auf, sondern in einer Kugel, ausserhalb derselben existiere nichts. Benders Gemeinde bleibt überschaubar, dennoch wird er wegen der Verbreitung aufwieglerischer und gotteslästerlicher Flugschriften zu einer mehrmonatigen Kerkerhaft verurteilt. Als sich nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten herumspricht, dass seine Frau Jüdin ist, wenden sich selbst seine engsten Gefolgsleute von ihm ab. Die Benders verarmen, die Repressionen besonders gegen seine Frau werden bald unerträglich.
Bestürzend aktuell, von unüberbietbarer sprachlicher und gedanklicher Originalität: Dieser Roman erzählt von Querdenkertum und alternativen Wahrheiten und rekonstruiert eine so bewegende wie verstörende Lebensgeschichte.
Monumental mit ernsten aber auch manchmal süffisanten Anmerkungen verziert handelt dieser Roman von einem „Querdenker“ seiner Zeit. In der Story, welche den Zeitraum von 1920 bis 1942 umspannt geht es um einen ehemaligen Fliegerleutnant Peter Bender, der sich als Gründer einer neuen Religionsgemeinschaft proklamiert. Er ist besessen von der Theorie das die Menschheit in einer Kugel lebt und lehnt das heliozentrische Weltbild in vielen Punkten ab. Dabei stützt er sich auf Thesen von einer Bewegung aus den USA. Seine Frau versucht die Familie übers Wasser zu halten und wird immer wieder Opfer seiner sonderbaren Visionen. Irgendwann keimt ein Hoffnungsschimmer auf, doch das braune Schicksal seiner Zeit schlägt erbarmungslos zu. Peter Bender sorgt mit manchen Verhaltensweisen für ein wenig für Sympathie. Er wirkt verletzlich und sprunghaft und ist oft in sich gekehrt. Seine skurrilen Einfälle und Visionen, welche auf das Kriegstraumata aus dem ersten Weltkrieg zurückzuführen sind, sorgen aber auch für sehr viel Antipathie. Obwohl er seine Frau Charlotte liebt, führt er ein seltsames Doppeleben. Seine Frau hält trotz seiner sehr sonderbaren Verhaltensweisen und Ansichten zu ihm. Sie ist bodenständig und versucht z.B. durch Lern- bzw. Sprachhilfen bei Schülern für ein Auskommen der Familie zu sorgen. Doch auch sie ist gefangen in einer Spirale der Blasenbildung in Peter Benders Welt.
Der Aufbau ist durch Zeitsprünge gekennzeichnet, welche den Lesefluss aber nicht beeinträchtigen. Sehr monumental, verschnörkelt beschreibend und manchmal auch abstrakt ist die Zusammenfassung des Schreibstils. Gerade die sprachliche Variabilität und Individualität ist eine Stärke des Romans. Die Handlung ist gut nachvollziehbar, auch wenn einzelne Passagen etwas zu langatmig erzählt wurden. Obwohl die Story sehr viel Ernsthaftigkeit enthält sorgen süffisanten Zwischenpassagen durchaus für Erheiterung beim Lesen. Zeichnungen und Grafiken in dem Roman helfen manche Ereignisse etwas transparenter darzustellen. Ein Roman, welcher das Querdenken in einer vergangenen sehr schweren Zeit literarisch schön beleuchtet.
Kontextlos Komplex
Novalie aus Graz am 15.01.2024
Bewertungsnummer: 2109778
Bewertet: eBook (ePUB)
Peter Bender lebt Anfang des 20. Jahrhunderts in Worms und ist Gründer einer Religionsgemeinschaft. Er glaubt, dass die Menschen nicht auf der Erde, sondern in einer Hohlkugel leben.
Die Geschichte scheint sehr gut recherchiert und punktet durch Quellenverweise und Fotos.
Anfangs hat mich das Buch sehr verwirrt. Ich war mir oft nicht sicher, ob ich mir manche Dinge wörtlich vorstellen, oder als Metapher verstehen soll. Es wirkt einiges sehr skurril.
Der Protagonist war nicht wirklich sympathisch und das frauenfeindliche Gedankengut dieser Zeit hat es mir manchmal schwer gemacht, weiterzulesen.
Rückblickend gesehen ist die Perspektive des Protagonisten aber sehr gut rübergekommen und im Nachhinein machen die viele Fragezeichen, die ich während des Lesens hatte, durchaus Sinn.
Inhaltlich hat das Buch einige Längen, aber sprachlich hat es mir außergewöhnlich gut gefallen.
Obwohl die Geschichte in der Vergangenheit spielt, hatte ich schon fast das Gefühl in einer dystopischen Zukunft gelandet zu sein. Die Geschichte wirkt sehr losgelöst von Gesellschaftspolitik und wird mit einem Tunnelblick erzählt, der keinen Platz für Kontext liefert.
Die wahre Heldin ist für mich die Frau des Protagonisten, die als Jüdin in dieser Zeit eine ganz andere Sichtweise auf die Welt hat. Ich fand es sehr befremdlich, wie jüdisch sein in Nazideutschland schon fast ignoriert wurde und wie der Fokus der Aufmerksamkeit auf einer skurrilen Religion lag.
Monde vor der Landung ist ein spannendes Buch, bei dem man aber viele Pausen braucht, selbst mitdenken und einiges googeln muss.
Meinungen aus unserer Buchhandlung
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Ich war zuerst unschlüssig, ob ich das Buch angehen sollte. Normalerweise lese ich im Vorfeld keine Rezensionen, ich habe hier eine Ausnahme gemacht, was mich dann überzeugt hat. Doch ich bin nicht ganz sicher, ob ich etwas darüber enttäuscht war oder bin, dass ich durch die Rezensionen auch über das Schicksal des Protagonisten informiert wurde. Es ist keine Geschichte, bei der das Ende eine grosse Rolle spielt und vielleicht entschärfte die Vorwegnahme auch den Weg dahin; so konnte ich mich anders auf die Geschichte einstimmen, nicht so sehr auf das Ziel ausgerichtet, darauf hinarbeitend, als vielmehr im Moment lesend.
Was Sprache angeht, hört man dem armen Teufel Bender gerne zu oder wohl eher Setz’ Sprachspielen. Es ist eine ganz eigene Komik, die da entsteht, die sich nicht über die Figur lächerlich macht, sondern eine Art Mitgefühl erzeugt und die zunehmende Schwere des Romans etwas abmildert. Manch einem mag der Detailgrad stellenweise vielleicht zu viel sein, bei einer Kürzung wäre für mich aber etwas verloren gegangen. Eigenartig auch, dass ich sowohl gerne noch mehr erfahren hätte, aber nicht sagen kann, aus was dieses “Mehr” bestehen sollte, als auch am Ende in einem positiven Sinn genug hatte.
Irgendjemand hat in einer Rezension von einer “Biografie des Scheiterns” gesprochen. Das bringt den Inhalt der Erzählung auf den Punkt. Benders Theorien stossen im kleinen Kreis durchaus auf Erfolg, aber zum grossen Ruhm oder auch überhaupt zum Überleben reicht es nicht aus. Mal sympathisierte ich mit dem armen Teufel, mal raufte ich mir die Haare; gerade dann, wenn er wieder einmal und ausgerechnet gegen seine ihn durch alle Widrigkeiten unterstützende Frau wettert. Doch diese Inkonsistenz oder die vielleicht gerade die Konsistenz seines wechselhaften Charakters verleihen ihm Authentizität, machen ihn lebendig; dadurch wird aus einer durch sprachliche Zeichen umrissenen Romanfigur ein Mensch, der tatsächlich einst gelebt hat. Peter Bender ist bzw. war nicht einfach bloss ein Begründer der Hohlwelttheorie, Spinner oder Verschwörungstheoretiker; er war gleichzeitig Vater, Soldat, Bürger Deutschlands, Geliebter und Liebender, lachender, weinender, glücklich-verzweifelter, essender und trinkender – ein Mensch, so vielseitig wie du und ich.
Und dies ist vielleicht die schönste, mächtigste und wichtigste Botschaft dieses Buches: Die Weigerung gegenüber der Reduktion eines Menschen auf ein einziges Attribut.
Was mich ausserdem verblüfft und ziemlich mitgenommen hat, war die sich durch den Roman ziehende, schleichende und zunehmende Bedrohung durch den sich anbahnenden zweiten Weltkrieg. Anfangs noch kaum wahrnehmbar, bemerkt man dann, wie sich eine Schlinge um die Benders legt, die sich dann sehr langsam zuzieht. Wenn ich das mit Viktor Frankls Erfahrungsbericht oder Imre Kertész Tagebüchern und Romanen vergleiche, ist es eine andere Art von Grauen, das beim Lesen mitschwingt und aber gerade, weil es nicht Titelthema ist, auch immer wieder abflaut. Die Bedrohung legt sich dann unausgesprochen über den weiteren Verlauf der Geschichte, wird immer wieder aufgenommen, leicht zugespitzt, gerät dann wieder in den Hintergrund bis…
Ich mag diese Bücher, die mich während wie auch nach der Lektüre gedanklich und/oder emotional beschäftigen. Nicht einfach nur beeinflussen, das Erleben betreffend, sondern Reflexionen in Gang setzen. Den fünften Stern erhält es aber auch deshalb, weil es was hatte, was ich bisher nicht kannte. Ich kann dieses Etwas nur schwer beschreiben, ich weiss nur, dass ein Buch es hat oder nicht. Etwas sehr Individuelles, das da mit mir in Resonanz gerät…