Hals über Kopf reist Robin, ein junger Vater, seiner Frau hinterher. Was muss er ihr so dringend sagen? Während der Zug durch das überschwemmte Ahrtal gleitet, blickt er zurück auf seine Entscheidungen. Wie vertretbar ist es, ein Kind in diese Welt zu bringen, in der eine Naturkatastrophe die nächste jagt? Ein zarter und kluger Roman über eine der grossen Fragen unserer Zeit.
Nicht alles ist, wie es scheint – eine außergewöhnliche Lektüre
Lia48 am 29.05.2024
Bewertungsnummer: 2210978
Bewertet: Buch (Gebundene Ausgabe)
„Ich schaute und wusste, dass es kein Zufall war. Ich blätterte, immer schneller, bis zur letzten Zeichnung. Mit zitternden Händen schlug ich es wieder zu, für einen kurzen Moment glaubte ich, es verdecken zu können, so zu tun, als hätte ich es nicht gesehen. Aber da wusste ich schon, dass ich zu ihr musste.“
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INHALT:
Erst heute Morgen hat er seine Frau noch zum Bahnhof gebracht.
Anschließend sind daheim die Belegexemplare von Tess‘ neuem Buch angekommen. Doch was Robin in ihren Illustrationen findet, sieht für ihn aus wie ein Hilferuf oder gar eine Art Drohung.
Also setzt er sich selbst schnellstens in den Zug und reist seiner Frau die Strecke von knapp 700 Kilometern hinterher. Hoffentlich ist es noch nicht zu spät!
Bei ihm, ihr gemeinsamer 2-jähriger Sohn. „Es sollte ihn nicht geben. Aber es gab ihn, und wir nannten ihn Mats.“
Der Zug fährt durch das überschwemmte Ahrtal, in dem letzte Woche mehrere Menschen ertrunken sind und zahlreiche Leute ihr Hab und Gut verloren haben. „Wir schauen zusammen aus dem Fenster und sehen nichts von alledem. Es ist passiert und wurde schon verschleiert. Solange das noch möglich ist, werden wir so tun, als wäre es halb so schlimm.
Ich sehe ihn an. Er hat keine Ahnung. Er weiß es noch nicht.“
Robin denkt an die vergangenen Jahre mit Tess zurück und an die Entscheidung bzgl. ihrer Elternschaft. Sie hatten sich gefragt, ob es vertretbar wäre, ein Kind in diese Welt zu setzen, in der eine Naturkatastrophe die nächste jagte. War das einem Kind gegenüber wirklich fair? Bei all den Hitzerekorden, Überschwemmungen und Waldbränden? Oder war es gar purer Egoismus?
Doch „er wuchs vor unseren Augen und in unseren Köpfen auf und verschaltete die Kabel auf eine Weise, die vor allem mich überwältigen konnte.“
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MEINUNG:
Dieses schmale, handliche Büchlein sollte man nicht unterschätzen, denn es hat es in sich.
Aber bevor ich das erfahren durfte, fand ich den Anfang zunächst etwas anstrengend.
Robins Gedanken schweifen so oft ab, reißen so häufig Themen an und lassen sie zum Teil wieder fallen, dass man manchmal kaum hinterherkommt.
Dadurch habe ich etwa 50 Seiten gebraucht, um mich in die Lektüre einzufinden. Bei einer Geschichte von 163 Seiten, ist mir das ehrlich gesagt, etwas zu lange.
So viel zu meiner Kritik.
Was mich dann aber bald gefesselt und ausgesprochen überzeugt hat, waren die Sequenzen zwischen Robin und seinem kleinen Sohn. Diese Schilderungen empfand ich als äußerst authentisch und dem Alter entsprechend – da bin ich sehr sensibel.
Robin wirkt so liebenswert im Umgang mit dem 2-jährigen Mats. Und gleichzeitig konnte ich seine Sorgen und Ängste bzgl. einer Elternschaft gut verstehen. Der Klimawandel stellt uns und vor allem unsere nächsten Generationen vor große Herausforderungen. Sollte man also überhaupt noch Kinder in die Welt setzen? Mit dieser Frage wird man sich noch über das Ende des Buches hinaus beschäftigen, denn es klingt noch lange nach.
Außerdem war ich neugierig und wollte wissen, was Robin in den Illustrationen seiner Frau entdeckt hat, weshalb er den langen Weg auf sich nimmt. Schwebt Tess etwa in Gefahr?
Das Besondere an dieser Geschichte ist, dass manches nicht ist, wie es zunächst scheint.
Oft sind es Kleinigkeiten, die sich im Verlauf häufen und immer wieder zu kleinen Irritationen beim Lesen führen.
Man wird sich fragen: Habe ich etwas überlesen? Oder falsch verstanden? Wie soll ich den Satz interpretieren?
Irgendwann hatte ich eine Ahnung. Aber das würde der Autor doch nicht wirklich tun!?? Das würde doch keinen Sinn ergeben. Oder etwa doch?
Ich kann euch sagen, ich war am Ende erst einmal verärgert und wütend auf den Verfasser des Buches. Warum? Das kann und möchte ich euch an dieser Stelle nicht verraten. Das würde sonst sicherlich euer Leseerlebnis schmälern.
Aber je mehr ich diese Lektüre anschließend auf mich habe wirken lassen, desto raffinierter fand ich sie letztendlich. Sie stimmt äußerst nachdenklich und man wird sie vermutlich nicht so schnell vergessen. Es ist ein Buch, dass erst beim Zuschlagen so richtig in einem arbeitet. Und danach sollte man es eigentlich direkt noch einmal lesen. Kennt man das Ende und damit die Auflösung, wird man den Rest mit anderen Augen sehen und dadurch noch aufmerksamer durch die Seiten blättern und bestimmt noch viele Details entdecken, die einem zuvor entgangen sind.
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FAZIT: Eine außergewöhnliche Lektüre, die zum Nachdenken anregt und in der manches nicht ist, wie es zunächst scheint. Aufmerksamkeit ist gefragt, vielleicht auch ein erneutes Lesen des Buches. Man muss sich darauf einlassen können, aber dann kann die Geschichte einiges für einen bereithalten. 4/5 Sterne!
Legt die Welt in Kinderhände (Herbert Grönemeyer)
katikatharinenhof am 20.03.2024
Bewertungsnummer: 2159335
Bewertet: Buch (Gebundene Ausgabe)
Robin reißt geradezu enthusiastisch das Paket mit den neuen Büchern auf, die als Belegexemplare angekommen sind. Seine Frau hat eine Botschaft im hinterlassen, die Robin dazu bewegt, alles stehen und liegen zu lassen und vollkommen überstürzt ihr hinterher zu reisen. An seiner Seite: Mats, gerade einmal drei Jahre alt. Es beginnt eine Zugfahrt, die nicht nur Erinnerungen heraufbeschwört, sondern viel Zeit zum Nachdenken bereithält....
Ich frage mich immer wieder, wie es Peter Zantingh schafft, auf so wenigen Seiten ein so großes Gefühlschaos zu verursachen, das zum einen Herz und Seele berührt, die Tränen zum fließen bringt und trotzdem Hoffnungen weckt ?! Die Geschichte ist wie eine Reise mit dem Zug, bei der die Gedanken wie das beständige Rattern der Räder auf den Gleisen in Robins Kopf hin und her gleiten, Erinnerungen wach rufen und immer wieder die Frage in den Raum stellen, ob in Zeiten des Klimawandels es überhaupt noch zeitgemäß ist, einem Kind das Leben zu schenken. Wie geht man als Eltern verantwortungsvoll mit der Aufgabe um, um für genau diese kleinen Menschen die Welt zu erhalten, damit sie auch behütet und beschützt in ihr aufwachsen können.
Robin und Tess sind Klimaaktivisten, aber nicht solche von der radikalen Sorte, sondern mit Herz und Verstand, und bringen auch den Leser:innen für die Dauer der Lektüre ihre Gedanken näher. Es lohnt sich immer, für ein nachhaltigeres und bewussteres Leben etwas zu tun und der nachfolgenden Generation genau diese Werte auch mitzugeben.
Der kleine Mats spielt dabei eine wichtige Rolle und es wird erst am Ende des Buches deutlich, wie sehr der kleine Mann in der Gefühlswelt seiner Eltern einen Platz einnimmt. Die Gänseblümchen auf den Buchseiten sind dabei kleine Hinweise, die bei genauerer Betrachtung seine Geschichte erzählen, ohne dabei Worte zu benutzen. Es liegt vieles zwischen den Zeilen, das zu Tränen rührt und nur wer sich ganz auf das Buch einlassen kann, versteht die Botschaft dahinter.
Der Autor erzählt mit einer großen Zärtlichkeit, packt aber auch Zukunftsängste, die Frage nach dem "Wie schaffen wir es, als Eltern unserem Kind gerecht zu werden ?" und immer wieder die Hoffnung mit ein, dass ein Kind nicht nur sichtbar gewordene Liebe, sondern auch immer ein Versprechen für eine bessere Zukunft ist.
"Zwischen uns und morgen" ist ein Buch, das sicherlich nicht auf den ersten Blick alle seine Botschaften offenbart. Es lohnt sich aber, die Geschichte mehrmals zu lesen, denn es öffnen sich erst nach und nach die vielen kleinen Fenster, die Zantingh für seine Leser:innen zum Entdecken seiner Botschaften bereithält.
Ein Roman, der sich deutlich vom Mainstream abhebt, mit leisen Tönen überzeugt und eine ganz starke Botschaft in sich trägt.