Es gibt so vieles in Aarons Leben, das er lieber für immer vergessen würde: Den Suizid seines Vaters, seinen eigenen Selbstmordversuch kurz darauf, die Tatsache, dass er in einem hoffnungslosen Viertel in der Bronx aufwächst. Doch Aarons Mutter und seine Freundin Genevieve helfen ihm dabei, wieder glücklich zu werden. Als er eines Tages auf Thomas trifft und sich mit dem unbekümmerten und coolen Jungen anfreundet, entdeckt er noch eine ganz neue Art von Glück. Eine, die sein Herz höherschlagen lässt. Doch als Thomas ihm sagt, dass er seine Gefühle nicht erwidert, beschließt Aaron es endlich zu tun: Zu vergessen. Mit Hilfe einer neuartigen Gehirnmanipulation will er seine Erinnerungen an alles, was war, und alles was er ist, auslöschen lassen. Auf schmerzlichste Weise muss er lernen, dass das Herz sich erinnert, auch wenn der Verstand längst vergessen hat ... Einfühlsam liest Jonas Minthe das bewegende Debüt des SPIEGEL-Bestsellerautors und Star der queeren Jugendliteratur Adam Silvera.
Selten habe ich ein Jugendbuch gelesen, das mich auf so vielen Ebenen emotional berührt und gleichzeitig zum Nachdenken gebracht hat. Es war eine intensive Reise durch die Gedanken- und Gefühlswelt eines jungen Menschen, der seinen Platz in der Welt sucht – und dabei mit Fragen ringt, die vielen von uns vertraut sein dürften.
Worum geht es?
Auf den ersten Blick wirkt die Geschichte unscheinbar. Aaron, ein ganz normaler Teenager, lebt in einer gewöhnlichen Umgebung, hat eine Freundin namens Genevieve und trägt schwer am Verlust seines Vaters, der sich das Leben genommen hat. Die Fragen, die ihn beschäftigen, scheinen typisch für sein Alter: erste sexuelle Erfahrungen, das Erwachsenwerden, familiäre Konflikte. Alles wirkt beinahe wie eine klassische Coming-of-Age-Geschichte – bis man tiefer in die Handlung eintaucht.
Denn bald wird klar: Aaron hütet ein Geheimnis, das ihn innerlich zerreißt. Er ist schwul – und weiß selbst nicht, wie er damit umgehen soll. Angst, Schuldgefühle und Unsicherheit begleiten ihn auf Schritt und Tritt. Wer hat nicht schon einmal seine eigene Identität hinterfragt? Wer hat nicht befürchtet, abgelehnt oder nicht verstanden zu werden?
Die besondere Stärke dieses Romans liegt in seiner einfühlsamen Darstellung dieser inneren Kämpfe. Aaron ist kein Held, kein Rebell – sondern ein zutiefst menschlicher Charakter, der versucht, in einer Welt klarzukommen, in der er das Gefühl hat, nicht hineinzupassen. Besonders bewegend ist sein innerer Konflikt, als er erkennt, dass seine Gefühle für seinen besten Freund Thomas mehr als nur Freundschaft sind. Gleichzeitig wird deutlich, dass seine Beziehung zu Genevieve eher dem Wunsch entsprang, "normal" zu sein, als echter Liebe.
Die Figuren rund um Aaron – ob Thomas, Brendan, Collin oder seine Eltern – sind vielschichtig und glaubwürdig gezeichnet. Auch wenn offene Diskriminierung in diesem Buch nur am Rande vorkommt, ist sie doch zwischen den Zeilen spürbar: in Form von Ablehnung, Enttäuschung oder dem Wunsch, Dinge zu verdrängen.
Ein faszinierendes Element der Geschichte ist die Einführung der fiktiven "Leteo Corporation" – ein Unternehmen, das schmerzhafte Erinnerungen löschen kann, damit Menschen "glücklicher" weiterleben können. Diese Science-Fiction-Komponente verleiht dem Buch eine ganz eigene Tiefe und wirft eine zentrale moralische Frage auf:
Wenn du die Möglichkeit hättest, einen Teil deiner Identität zu vergessen – würdest du es tun?
SPOILER WARNUNG: Aaron entscheidet sich dafür – doch die Konsequenzen sind tragisch. Durch den Eingriff erleidet er eine anterograde Amnesie: eine seltene Form des Gedächtnisverlusts, bei der er keine neuen Erinnerungen mehr speichern kann. Er lebt fortan im Moment – ohne die Möglichkeit, ein echtes Leben mit Vergangenheit und Zukunft zu führen. Diese Entwicklung hat mich tief getroffen. Der Gedanke, jeden neuen Tag aufs Neue zu beginnen, ohne zu wissen, was gestern war, ist erschütternd und regt sehr zum Nachdenken an.
Fazit:
Dieses Buch ist keine klassische Coming-out-Geschichte. Es ist viel mehr: ein Porträt der Verzweiflung, der Hoffnung, der Suche nach Zugehörigkeit – und der Frage, ob wir unsere Erinnerungen und unsere Identität wirklich auslöschen können, um "glücklich" zu sein.
Trotz kleiner Schwächen – etwa, dass manche Nebenfiguren blass bleiben oder der Sci-Fi-Teil nicht ganz zu Ende gedacht wirkt – ist dies ein absolut empfehlenswerter Jugendroman mit großer emotionaler Tiefe.
4 von 5 Sternen!
Der Inhalt regt zum Nachdenken an
Esther N. (Mitglied der Book Circle Community) am 19.01.2024
Bewertungsnummer: 2111916
Bewertet: Buch (Gebundene Ausgabe)
Zum Inhalt: Aarons Leben ist herausfordernd – Familie, Wohnung, Freundeskreis, die Liebe; alles ist schwierig. Aaron entschliesst sich seine schmerzlichen Erinnerungen von Leteo, einer Firma, die auf Gedächtnismanipulation spezialisiert ist, auslöschen zu lassen. Doch dieser Eingriff macht ihm das Leben noch schwerer.
Meine Meinung: Der Inhalt dieses Jugendbuchs ging mir unter die Haut. Araron ist ein junger Antiheld. Dem Autor ist es sehr gut gelungen eine schwierige Geschichte nachvollziehbar zu schildern. Als Mutter von kleinen Kindern interessieren mich Bücher über Kinder, die sich zu jungen Erwachsenen entwickeln. Der Inhalt dieses Buches ist schwere Kost denn es beinhaltet Themen wie Trauer, Verlust, Suizid, Sexualität und der Suche nach Glück. Adam Silvera hat die Gedanken und die Entscheidungen seines jungen Protagonisten realitätsnahe dargestellt. Ich kann mir gut vorstellen, dass es so im Innenleben eines jungen Menschen vorgehen kann. Das Buch sensibilisierte mich als erwachsene Person besonders aufmerksam und feinfühlig zu sein, was Kindern und junge Erwachsenen anbelangt.