Was geschieht, wenn Neid und Gier zu Streit und Krieg führen: das grosse Karolinger-Epos
Eigentlich macht Ludwig, Kaiser der Franken und Sohn Karls des Grossen, alles richtig: Er regelt seine Nachfolge früh, ernennt seinen ältesten Sohn Lothar zum Mitregenten und bedenkt die jüngeren Söhne mit grossen Ländereien. Schnell zeigt sich jedoch, dass Ludwig und Lothar unterschiedliche Vorstellungen darüber haben, wie das Land regiert werden soll. Während sich der Vater um Frieden und Ausgleich bemüht, drängt der Sohn darauf, die Interessen des Reiches mit Härte durchzusetzen. Als Ludwig nach dem Tod seiner Frau ausgerechnet um Judith wirbt, für die sich auch sein Sohn interessiert, eskalieren die Streitigkeiten. Bald steht alles auf dem Spiel, was Karl der Grosse einst geschaffen hat ...
In seinem gut recherchierten und einfühlsam erzählten Roman über Politik, Familie und Liebe im frühmittelalterlichen Frankenreich lässt Claudius Crönert eine wichtige Epoche der Geschichte lebendig werden.
Der Einfachheit halber beginne ich mit dem Cover: Es erinnert mich an das Plakat zu dem Horror-Movie »The Ring«, aber ich nehme an, das ist Zufall? Was der Kreis symbolisieren soll, erschloss sich mir bis zum Schluss nicht.
Der Autor hat mit seinem 800-Seiten-Schmöker sicher eine beachtliche Fleißaufgabe absolviert und viel recherchiert; es gibt ja doch einige Quellen über jene Epoche bzw. die beteiligten Personen. Dennoch, verglichen mit der Neuzeit sind die erhaltenen Informationen aus dem europäischen Früh- bzw. Hoch-Mittelalter eher spärlich. (Und auch vor 1200 Jahren gab’s sicher schon das, was wir heute Fake News nennen.) Das gibt einem Autor natürlich auch einiges an Freiheit, die man auf unterschiedliche Art nutzen kann. Bei diesem Buch erscheint mir vieles sehr aus heutiger Sicht gezeichnet, insbesondere das Verhalten von Judith, der zweiten Gattin von Kaiser Ludwig, heute meist »der Fromme« genannt. Eine Grafentochter, die ernsthaft in Erwägung zieht, einen Bauernsohn zu heiraten? Gut, die Aristokratie war seinerzeit wohl noch nicht so verknöchert und dekadent wie in späteren Jahrhunderten, aber war das wirklich eine Option?
Nun kann man natürlich einen historischen Roman mit eher moderner Machart schreiben, etwa à la Franzobel. Oder man kann sich um ein möglichst authentisches Ambiente bemühen; hier fällt mir natürlich zuerst »Der Name der Rose« ein. So ganz klar ist mir nicht, welcher Ansatz hier angestrebt wurde. Archaisierende Elemente gibt es eigentlich nicht, ebenso wenig wie offensichtliche Anachronismen.
Der Plot des Buches deckt die Jahre von 817 bis 840 ab, also fast die gesamte Regierungszeit von Kaiser Ludwig, der 814 seinem Vater Karl auf dem Kaiserthron in Aachen folgte. In dieser Zeit kam es zu mehreren Rebellionen der Söhne Ludwigs gegen ihren Vater und zu (teils militärischen) Auseinandersetzungen unter den Söhnen. Der Autor versucht, alle diese Vorgänge (mehr oder minder summarisch) abzudecken. Stilistisch erfolgt dies, indem zwischen den (81) Kapiteln die Erzählperspektive wechselt; es gibt stets einen auktorialen Erzähler, aber dieser ›berichtet‹ abwechselnd mal aus der Sicht der einen, mal der anderen Person. Das funktioniert erzähltechnisch recht gut; aufgrund des komplexen Geschehens müssen Lücken bleiben, die dann vom Erzähler überbrückt werden. Das ist manchmal unbefriedigend: So wird etwa über mehrere Kapitel berichtet, wie Ludwigs gleichnamiger Sohn (»der Deutsche«) mit Frau und Bruder darüber diskutiert und nachsinnt, wie er auf den Aufstands-Versuch seines Bruders Pippin reagieren soll. Das eigentliche Ergebnis (eine Vermittlungs-Mission nach Aachen) wird dann aber recht knapp abgehandelt.
Dies ist natürlich unvermeidlich; selbst 800 Seiten reichen nicht, um den gesamten Handlungs-Zeitraum abzudecken. Es gibt, wie gesagt, mehrere Auseinandersetzungen innerhalb des Karolinger-Clans. Denn die Figuren in diesem Langzeit-Drama erweisen sich als wenig bis gar nicht lernfähig, und ihr Intrigenspiel endet eigentlich erst mit dem Tod der Hauptfigur - und dann auch nicht wirklich, wie das Nachwort verrät. Damit hat der Plot etwas Repetitives. Es wäre vermutlich literarisch fruchtbarer gewesen, wenn sich der Autor auf einen einzelnen Aufstand konzentriert hätte. Ein guter Ansatz war, wie ein Konflikt zwischen Pippin und Ludwig (senior) dadurch ausgelöst wurde: Pippins geliebte Frau wurde von Wikingern entführt (wohl dichterische Freiheit?), und um das Lösegeld beizeiten aufzubringen, ›erleichtert‹ Pippin mehrere Klöster um ihre Schätze – was natürlich bei Ludwig »dem Frommen« nicht gut ankommt. Das hat ein tragisches Element und Potential für die Gestaltung eines Spannungsbogens, der das Buch zum Pageturner machen könnte. Alternativ hätte man das Geschehen rund um das sogenannte Lügenfeld bei Colmar aufgreifen können, wo sich ein bemerkenswertes Intrigenspiel abspielte. Ich glaube, dies wäre ein besserer Ansatz gewesen für einen historischen Roman mit dieser Thematik bzw. rund um diese Figuren: Denn so beachtlich die Fleißaufgabe des Autors ist, (fast) die gesamte Regierungszeit von Ludwig abzudecken, so wenig tut sich über weite Strecken, insbesondere was die (Nicht-)Entwicklung der Hauptfiguren betrifft: Ludwig eher zögerlich, bedächtig, auf Ausgleich bedacht; Lother ehrgeizig, machtbewusst, impulsiv; Pippin häuslich, aber selbstbewusst; Ludwig junior etwas simpel, aber geradlinig … Hier tut sich wenig. Die Motive für die diversen Seitenwechsel sind dementsprechend nicht immer nachvollziehbar.
Ob nun geplant oder nicht: Diese Geschichte kann auch als überzeugender Beweis für die Absurdität des dynastischen Gedankens dienen. Denn wie heißt es in der Kurzbeschreibung des Buches: »Eigentlich macht Ludwig, Kaiser der Franken und Sohn Karls des Großen, alles richtig: Er regelt seine Nachfolge früh, ernennt seinen ältesten Sohn Lothar zum Mitregenten und bedenkt die jüngeren Söhne mit großen Ländereien. Schnell zeigt sich jedoch, dass Ludwig und Lothar unterschiedliche Vorstellungen darüber haben, wie das Land regiert werden soll.« Ja, eine geregelte Erbfolge funktioniert halt nur, wenn alle Beteiligten gewillt sind, sich an diese Regelung zu halten. Wenn nicht, wird’s schnell schwierig, oft auch blutig! Wer dann zu leiden hat, sind leider aber v.a. die ›Untertanen‹. Auch dieser Aspekt kommt in diesem Buch zu kurz.
Zur Tragik von Ludwig trägt bei, dass er nicht die Skrupellosigkeit seines Vaters hatte: Als Person macht ihn das sympathisch; als Monarch disqualifiziert ihn das. Jedenfalls ist es erfreulich, dass die Charaktere in diesem Buch bemerkenswert ›normal‹ wirken: Keine Un-, aber auch keine Übermenschen; keine Dämonen, aber auch keine Heiligen. Wobei Ludwig angesichts seines Beinamens »der Fromme« schon manchmal etwas unfromm rüber kommt: Die Mission der Skandinavier führt er eher aus Prestige- oder strategischen Gründen durch, und von einer Hoffnung auf ein Leben im Jenseits ist bei ihm zum Schluss wenig bis nichts zu spüren.
Die Lektüre war jedenfalls interessant und lohnend, wenn eben auch nicht frei von (Über-)Längen.
Ein Muss für Liebhaber historischer Romane
Patno aus Bad Belzig am 03.05.2025
Bewertungsnummer: 2482092
Bewertet: Buch (Gebundene Ausgabe)
Äußerlich ist das Buch ein Hingucker. Es ist hochwertig verarbeitet und besticht durch sein stilvolles Cover.
Der Roman ist in mehrfacher Hinsicht groß .
Es ist die Geschichte eines bedeutenden Adelsgeschlechts, wobei hier eher von einem großen Epos zu sprechen ist, denn das Buch umfasst 816 Seiten.
Im Mittelpunkt steht Ludwig der Fromme, Kaiser von Franken und Sohn Karl des Großen. Last but not least ist der Roman großartig recherchiert und spannend erzählt.
Kaiser Ludwig ist darauf bedacht, frühzeitig seine Nachfolge zu regeln. Er ernennt seinen ältesten Sohn Lothar zum Mitkaiser und bedenkt auch seine jüngeren Söhne mit großen Ländereien. Doch schnell wird klar, dass Ludwig und Lothar unterschiedliche Auffassungen darüber haben, wie das Fränkische Reich zu regieren ist. Ludwig ist bemüht die Konflikte friedlich zu lösen, während Lothar gern die Säbel rasselt und seine Interessen mit aller Härte durchsetzt.
Nach dem Tod seiner Ehefrau Irmingard wirbt Ludwig ausgerechnet um die Frau, auf die auch sein Sohn Lothar ein Auge geworfen hat. Der Streit ist vorprogrammiert. Es kommt zum Zerwürfnis zwischen Vater und Sohn und bald ist alles in Gefahr, was einst Karl der Große erschaffen hat.
„Das Erbe der Karolinger“ gleicht einer Reise in einer Zeitmaschine, die mich mit Schallgeschwindigkeit ins Jahr 817 n. Chr. bringt und nach 816 Seiten im Jahr 840 n. Chr. wieder abholt.
Währenddessen ziehen beeindruckende Bilder des Frühmittelalters vor meinem inneren Auge vorbei. Gedanklich bin ich mitten im historischen Geschehen.
Die Charaktere sind ausdrucksstark und lebendig ausgearbeitet, sodass ich beim Lesen jederzeit das Gefühl hatte, ihnen nah zu sein. Diese Nähe, kombiniert mit dem beeindruckenden historischen Faktenreichtum ist eine der großen Stärken des Romans.
Besonders interessant schien mir die Inszenierung der Judith, die ich aus Geschichtsbüchern als bösartige und ehrgeizige Frau in Erinnerung hatte. Claudius Crönert zeichnet sie hier als kluge und charismatische Frau. Eine gelungene Interpretation!
Kaiser Ludwig und der kleine Ludwig sind mir von Anfang an sympathisch. Ich fühle und leide mit ihnen. Lothar hingegen wirkt auf mich abstoßend. Er ist von Neid, Gier und dem Streben nach Macht besessen.
Schien mir auf den ersten Seiten die Dicke des Buches noch eine enorme Herausforderung zu sein, war ich am Ende überrascht, wie schnell ich die mehr als 800 Seiten durchgelesen hatte.
Für mich ist es einer der besten historische Romane, die ich in letzter Zeit gelesen habe. Klasse geschrieben!
Eine unterhaltsame und fesselnde Geschichte, die tiefe Einblicke in das politische und gesellschaftliche Leben des Fränkischen Reiches gewährt. Lesen!!!