Ayelet Gundar-Goshen inszeniert einen inneren Konflikt, der die Figuren und Lesenden gleichermassen in seinen Bann zieht. Und sie schafft davon ausgehend ein packendes Psychodrama über Schuld und Rache, über die Flucht vor Verantwortung und über Mitgefühl, das sich an unerwarteten Orten zeigt.
Naomi ist nicht begeistert, als sie sich allein mit ihrem einjährigen Sohn Uri und einem arabischen Handwerker in ihrer Wohnung in Tel Aviv wiederfindet. Ihr Mann Juval hat ihn mit der Renovierung ihres Balkons beauftragt, während er selbst bei der Arbeit ist. Sie fühlt sich unwohl in der Präsenz des fremden Mannes, zumal Uri eigentlich seinen Vormittagsschlaf halten sollte und allmählich quengelig wird. Während sie Kaffee zubereitet, entsteht plötzlich auf der Gasse vor dem Haus ein Aufruhr, ein Teenager ist von einem herabstürzenden Hammer erschlagen worden. Naomi wird schnell klar, dass ihr Sohn den Hammer in einem unbeaufsichtigten Moment vom Balkon gestossen haben muss. Doch der Verdacht fällt nicht auf die israelische Familie, sondern auf den arabischen Arbeiter. Als er wenig später zum Verhör abgeführt wird, ist Naomi wie gelähmt, es gelingt ihr nicht, die Wahrheit zu sagen.
Eine Geschichte, die mit einer harmlosen Tasse Kaffee beginnt, wird zu einer gefährlichen Tour zwischen Stadt und Dorf, bei der keiner der Beteiligten so bleibt, wie er war.
Gesellschaftliche Konflikte im Mikrokosmos einer Familie
xxholidayxx am 16.06.2025
Bewertungsnummer: 2517449
Bewertet: Buch (Gebundene Ausgabe)
„Ungebetene Gäste“ ist ein Roman, der sich mit den Themen Schuld, Verantwortung und gesellschaftlichen Konflikten in Israel auseinandersetzt und sich aufgrund des Aufbaus (mit etwas Fantasie) fast schon wie ein sich zuspitzender Psychothriller liest. Die Autorin Ayelet Gundar-Goshen, geboren 1982, ist Psychologin und Drehbuchautorin aus Israel, die für ihre tiefgründigen und emotional komplexen Geschichten bekannt ist. Mit mehreren Auszeichnungen und dem Sapir-Preis für ihr Debüt „Eine Nacht, Markowitz“ zählt sie heute zu den bedeutendsten Stimmen der israelischen Gegenwartsliteratur.
Worum geht’s genau?
Der Roman erzählt die Geschichte von Naomi, einer jungen Mutter in Tel Aviv, deren Leben aus den Fugen gerät, als ihr ein schwerer Unfall geschieht: Ihr einjähriger Sohn stößt versehentlich einen Hammer vom Balkon, der einen Teenager tödlich verletzt. Doch anstatt die Wahrheit zu sagen, schweigt Naomi – und der arabische Handwerker, der in ihrer Wohnung arbeitet, wird verdächtigt. Das führt zu einer Kette von Ereignissen, die Naomis Leben und das Leben der Menschen um sie herum unwiderruflich verändern. Der Roman zeichnet ein vielschichtiges Bild von Schuld, Angst, Rassismus und den inneren Konflikten seiner Figuren.
Meine Meinung
„Ungebetene Gäste“ hat mich als Erstleserin von Gundar-Goshen sofort gefesselt, weil die Autorin es meisterhaft versteht, die komplexen psychologischen und sozialen Konflikte ihrer Figuren darzustellen. Besonders beeindruckend fand ich, wie intensiv die Darstellung von Mutterschaft gelingt: Naomi fühlt sich durch die Anhänglichkeit ihres Sohnes gleichzeitig genutzt und leergezogen – eine ehrliche und selten beschriebene Seite der Mutterschaft. Diese realistische und vielschichtige Darstellung schafft eine emotionale Nähe, die das Lesen sehr eindringlich macht.
Ein zentrales Thema des Romans ist die Diskrepanz zwischen dem Wunsch nach Verständnis und der Unwissenheit gegenüber dem Anderen, dargestellt durch Naomis Gedanken über die Menschen im Nachbardorf:
„Du möchtest hoffen, dass du etwas weißt, und sei es nur ein kleines bisschen... aber an sich weißt du nichts über diese Leute“ (S. 62).
Dieser Satz fasst die tiefen gesellschaftlichen Gräben zusammen, die den Hintergrund der Geschichte bilden. Gundar-Goshen zeigt dabei auch den Einfluss kolonialer und politischer Machtstrukturen, etwa durch die Distanz, die Naomi als Kontrollmechanismus aufrechterhält .
Die Auseinandersetzung mit dem Thema Schuld und Verantwortung zieht sich wie ein roter Faden durch den Roman. Naomi fühlt sich gefangen zwischen dem Gefühl, das Richtige getan zu haben, und der eigenen Lähmung und Angst, die Wahrheit zu offenbaren. Gleichzeitig wirft die Geschichte Fragen nach Gerechtigkeit auf, wenn die Staatsanwaltschaft trotz Naomis Geständnis den arabischen Arbeiter als Schuldigen anklagt. Das macht das Buch zu einer spannenden Studie über Vorurteile und systematische Ungerechtigkeiten.
Gundar-Goshen erweitert den Fokus zudem auf globale Verstrickungen und politische Hintergründe, die von der israelisch-nigerianischen Beziehung bis zu einem Bürgerkrieg in Biafra reichen. Das schafft einen Kontext, der den kleinen Konflikt um das tragische Ereignis auf dem Balkon in ein größeres Bild einfügt. Es ist faszinierend, wie die Autorin zeigt, dass persönliche Schicksale untrennbar mit politischen Machtspielen verbunden sind.
Zudem hat mir sehr gefallen, wie die Autorin das Thema Trauma und Kindheitserfahrungen einbaut. Die Szene, in der Noga, eine Psychologin, sich an ihre eigene Kindheit erinnert, zeigt eindrücklich, wie prägende Erlebnisse das Verhalten und die Wahrnehmung beeinflussen (S. 147). Das verleiht dem Buch eine zusätzliche emotionale Tiefe.
Der Schreibstil ist klar und präzise, ohne an Emotionalität zu verlieren. Die Wechsel zwischen den Perspektiven schaffen einen vielschichtigen Einblick in die Gedanken und Gefühle der Charaktere. Einige Passagen haben mich durch die politischen und historischen Details gefordert, was aber a.) sehr spannend war und b.) die Authentizität und Bedeutung der Handlung unterstreicht.
Fazit
„Ungebetene Gäste“ ist ein vielschichtiger Roman, der mit großer psychologischer Tiefe und gesellschaftlichem Bewusstsein überzeugt. Die gelungene Verbindung von persönlichem Drama und politischen Themen macht das Buch zu einem wichtigen Beitrag zur aktuellen Literatur über Schuld, Verantwortung und gesellschaftliche Spaltung. Für mich ist es ein starkes Debüt der Autorin Gundar-Goshen, das ich mit 4 von 5 Sternen empfehle.
Ungebetene Gäste
BücherBummler am 15.06.2025
Bewertungsnummer: 2516341
Bewertet: Buch (Gebundene Ausgabe)
Es ist nur ein kurzer Moment, in dem Naomi nicht auf ihren kleinen Sohn Uri aufpasst, doch er reicht, um zu einer Katastrophe zu führen. Uri stößt einen Hammer vom Balkon, der einen Teenager unten auf der Straße tödlich trifft. In Verdacht gerät aber nicht das israelische Kind, sondern der arabische Handwerker, der bei Naomi tätig war, und sofort als Attentäter verhaftet wird. Und Naomi schweigt …
So die Ausgangssituation in Ayelet Gundar-Goshens neuem Roman „Ungebetene Gäste“, und mehr möchte ich eigentlich auch nicht verraten. Ich hatte von dieser Autorin bisher noch nichts gelesen, aber sie hat mich sofort in ihre Geschichte hineingezogen. Besonders hat mich dabei die Vielschichtigkeit ihres Romans gefesselt, die Tragik, die gleich drei Familien betrifft: Naomis, die des Handwerkers und die des erschlagenen Jungen. Die Komplexität durch den politischen Hintergrund, den seit Ewigkeiten verfestigten Alltagsrassismus, das Misstrauen und die Vorurteile. Dabei wird uns Lesern die Thematik trotz aller Dramatik eher subtil vermittelt, jede Partei ist auf ihre Weise im Recht und im Unrecht, die moralische Antwort wird uns nicht unmittelbar serviert.
Ein kleiner Schwachpunkt war für mich der mittlere Teil. Er ist für sich genommen durchaus auch interessant und lesenswert, aber ich konnte das Gefühl nicht abschütteln, vom eigentlichen Weg abgekommen zu sein. Ich habe den dunklen Verdacht, dass Gundar-Goshen hier einen neuen Aspekt einbringen und die Positionen verschieben wollte, aber für mich hat der Vergleich – so der denn einer sein sollte – gehinkt.
Aber dieser gefühlte kleine Schönheitsfehler hatte auf meinen Gesamteindruck nur wenig Einfluss. „Ungebetene Gäste“ ist ein Roman, der sich am Ende rund anfühlt, den ich sehr gerne gelesen habe, von einer Autorin, von der ich nun noch mehr lesen möchte. Eine ganz eindeutige Leseempfehlung.