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Vor gut zwölf Jahren habe ich zum letzten Mal eine Currywurst an der Bude von Frau Brücker gegessen. Die Imbissbude stand auf dem Grossneumarkt - ein Platz im Hafenviertel: windig, schmutzig, kopfsteingepflastert. Ein paar borstige Bäume stehen auf dem Platz, ein Pissoir und drei Verkaufsbuden, an denen sich die Penner treffen und aus Plastikkanistern algerischen Rotwein trinken. Im Westen graugrün die verglaste Fassade einer Versicherungsgesellschaft und dahinter die Michaeliskirche; deren Turm nachmittags einen Schatten auf den Platz wirft: Das Viertel war während des Krieges durch Bomben stark zerstört worden. Nur einige Strassen blieben verschont, und in einer, der Brüderstrasse, wohnte eine Tante von mir, die ich als Kind oft besuchte, allerdings heimlich. Mein Vater hatte es mir verboten. Klein-Moskau wurde die Gegend genannt, und der Kiez war nicht weit.
Später, wenn ich auf Besuch nach Hamburg kam, bin ich jedesmal in dieses Viertel gefahren; durch die Strassen , gegangen, vorbei an dem Haus meiner Tante, die schon vor Jahren gestorben war, um schliesslich - und das war der eigentliche Grund - an der Imbissbude von Frau Brücker eine Currywurst zu essen.
Hallo, sagte Frau Brücker, als sei ich erst gestern dagewesen. Einmal wie immer?
Sie hantierte an einer grossen gusseisernen Pfanne.Hin und wieder drückte eine Bö den Sprühregen unter das schmale Vordach: eine Feldplane, graugrün gesprenkelt, aber derartig löchrig, dass sie nochmals mit einer Plastikbahn abgedeckt worden war.
Hier geht nix mehr, sagte Frau Brücker, während sie das Sieb mit den Pommes frites aus dem siedenden Öl nahm, und sie erzählte, wer inzwischen alles aus dem Viertel weggezogen und wer gestorben sei. Namen, die mir nichts sagten, hatten Schlaganfälle, Gürtelrosen, Alterszucker bekommen oder lagen jetzt auf dem Ohlsdorfer Friedhof. Frau Brücker wohnte noch immer in demselben Haus, in dem früher auch meine Tante gewohnt hatte.
Da! Sie streckte mir die Hände entgegen, drehte sie langsam um. Die Fingergelenke waren dick verknotet. Is die Gicht. Die Augen wollen auch nicht mehr. Nächstes Jahr, sagte sie, wie jedes Jahr, geb ich den Stand auf, endgültig. Sie nahm die Holzzange und griff damit eine der selbst eingelegten Gurken aus dem Glas. Die haste schon als Kind gern gemocht: Die Gurke bekam ich jedesmal gratis. Wie hältste das nur in München aus?
Imbissstände gibts dort auch.Darauf wartete sie. Denn dann, und das gehörte mit zu unserem Ritual, sagte sie: Jaa, aber gibts da auch Currywurst?
Nein, jedenfalls keine gute.Siehste, sagte sie, schüttete etwas Curry in die heisse Pfanne, schnitt dann mit dem Messer eine Kalbswurst in Scheiben hinein, sagte Weisswurst, grausam, und dann noch süsser Senf. Das veddelt einen doch. Sie schüttelte sich demonstrativ: Brrr, klackste Ketchup in die Pfanne; rührte; gab noch etwas schwarzen Pfeffer darüber und schob dann die Wurstscheiben auf den gefältelten Pappteller: Das is reell. Hat was mitm Wind zu tun. Glaub mir Scharfer Wind braucht scharfe Sachen.
Ihr Schnellimbiss stand wirklich an einer windigen Ecke. Die Plastikbahne war dort, wo sie am Stand festgezurrt war, eingerissen, und hin und wieder, bei stärkeren Böen, kippte eine der grossen Plastik-Eistüten um. Das waren Reklametische, auf deren abgeplattetem Eis man die Frikadellen und, wie gesagt, diese ganz einmalige Currywurst essen konnte.
Ich mach die Bude dicht, endgültig.Das sagte sie jedesmal, und ich war sicher, sie im nächsten Jahr wiederzusehen. Aber in dem darauffolgenden Jahr war ihr Stand verschwunden.Daraufhin bin ich nicht mehr in das Viertel gegangen, habe kaum noch an Frau Brücker gedacht, nur gelegentlich an einem Imbissstand in Berlin, Kassel oder sonstwo, und dann natürlich immer, wenn es unter Kennern zu einem Streit über den Entstehungsort und das Entstehungsdatum der Currywurst kam: Die meisten, nein, fast alle reklamierten dafür das Berlin der späten fünfziger Jahre. Ich brachte dann immer Hamburg, Frau Brücker und ein früheres Datu