Was passiert, wenn man erkennt, dass die Vorstellungen, die andere sich von uns machen, nicht mehr zu uns selbst passen? Vorstellungen, die unsere Freunde, unsere Partner, unsere Kinder oder unsere Eltern von uns haben und die uns, bei aller Freundschaft und Liebe, auch festlegen und manchmal fremd bestimmen? Wie findet man zu seinem eigenen Leben, seiner eigenen Stimme? Wie enttäuscht man Erwartungen, um selbstbestimmt leben zu können? Was lernt man aus den eigenen Enttäuschungen – von anderen Menschen, vielleicht auch vom Leben, aber auch von uns selbst? Fragen, denen Michael Bordt in einem klugen, kurzen Essay nachspürt. Statt gutgemeinter Ratschläge schlägt er eine neue, befreiende Sicht auf Enttäuschungen vor, die gewohnte Denkmuster auf den Kopf stellt und den Blick frei macht für die Schönheit und die Verletzbarkeit des eigenen Lebens.
Nur wer bereit ist, andere zu enttäuschen, wird sein eigenes Leben finden.
Dieses Büchlein hat es in sich: Auf 94 Seiten dürfen wir lernen, wie okay es sein kann, andere Menschen zu enttäuschen. Und wie wir selbst mit eigenen Enttäuschungen umgehen können.
Michael Boldt ist Jesuit und Philosoph und nimmt uns in diesem leicht in der Tasche mitzunehmenden Buch an die Hand. Ich war versucht, es in einem Rutsch durchzulesen - blätterte dann aber zurück und ließ es mich eine Zeitlang begleiten und Seite für Seite auf mich wirken.
"Enttäuschungen sagen etwas über unsere Erwartungen und Hoffnungen, sie sagen etwas darüber aus, wie wir gerne leben würden. Sie zeigen uns, was uns eigentlich am Herzen liegt und wer wir wirklich sind"
Zusammenfassungen wie diese finden wir vor jedem Kapitel. Der Text ist schlüssig - in jeder Zeile. Normalerweise unterstreiche ich gerne Stellen, die mir wichtig erscheinen - hier ist das gesamte Buch wichtig. Es geht nicht nur um Eltern oder negative Gefühle - es geht um alles, was uns mit anderen Menschen verbindet und die Gedanken, die wir uns um sie machen. Um die innere Haltung und um Grenzen. Aber auch um Freiheit. Michael Bordt beschreibt, was wir kennen - und gibt Tipps. Vieles konnte ich "abnicken" und feststellen, dass ich inzwischen schon ganz "richtig" handle. Aber ein Falsch gibt es ja auch eigentlich nicht, wenn man sich und andere reflektiert und sich bewusst macht, was alles im Leben zusammenspielt, damit wir es "klar" erleben. Wer sich mit sich und anderen aussöhnt, ist auch für andere die angenehmere Person. Wer sich reflektiert und Handlungen anderer zu verstehen beginnt, hebt Irrtümer auf.
Eigene Erwartungen und Erwartungen anderer sind maßgeblich beteiligt, wenn es um Enttäuschungen geht - machen wir uns bewusst, was unsere Erwartungen sind, werden wir mitunter weniger enttäuscht. Wobei enttäuscht werden letztendlich auch zum Heilungsprozess gehören kann.
Es ist kein "Arbeitsbuch", das hätte mich auch abgeschreckt. Auch würde ich es nicht als Sachbuch beschreiben.
Es ist ein Buch, das mir in meiner Sammlung gefehlt hat. Eines dieser Lebensbücher, die ich gerne immer wieder zur Hand nehme und auch bestimmt weiterhin brauchen werde. Und empfehlen, empfehlen werde ich es oft!