Globalisierung, Gier und fehlende Bankenregulierung – sie alle wurden für die Krise der Weltwirtschaft verantwortlich gemacht. In Wahrheit sind dies nur Nebenschauplätze eines weit grösseren Dramas. Eines Dramas, das in der Weltwirtschaftskrise von 1929 wurzelt und bereits seit den 1970er Jahren auf offener Bühne spielt: als die Welt wider besseres Wissen begann, mit ihrem Geld den “Globalen Minotaurus” Amerika zu nähren – so wie einst die Athener dem mythischen Fabeltier auf Kreta Tribut zollten. Heute sind die USA als Stabilisator der Weltwirtschaft selbst nachhaltig geschwächt, und die Konsequenzen des Machtvakuums zeigen sich allerorten. Sie machen vor allem eines klar: Stabilität in der Weltwirtschaft ist nicht umsonst zu haben; sie erfordert historische Entscheidungen – wie nach dem Zweiten Weltkrieg, als die Hegemonialstellung Amerikas begann. Statt hektischer Rettungsaktionen mit immer kürzeren Verfallsdaten ist eine grundlegende Debatte über Stabilitätspolitik, ist ein Neuanfang unvermeidlich.
Überprüfbare, intelligente Expertise mit Hintergrundinformation zu den Krisen 1929 und 2008
fritzcat am 13.05.2015
Bewertet: Buch (Kunststoff-Einband)
In gut verständlicher Sprache wird die Weltwirtschaft unter besonderer Berücksichtigung des globalen Geldstaubsaugers USA einer plausiblen Sachanalyse unterzogen.
Varoufakis entlarvt pragmatisch die irrationale, neoliberale Schlussfolgerung, dass Krisen nicht verhinderbar seien, und rekonstruiert fachkundig, wie die Politik von diesen inhumanen Denkmustern beeinflusst wird.
Er richtet den Fokus auf Ursachen und politische Reaktionen und beleuchtet bspw. selbstdemaskierende Aussagen zur neoliberalistischen Krisendarstellung: Nicht die kriminellen Konstruktionen von AAA-bewerteten CDOs (Buchabschnitt: Regulatorische Handschellen, Kapitel 1) hätten zum unausweichlichen Crash 2008 geführt, so die neoliberalen Scheuklappensophisten, sondern die gierige Natur des Menschen, die, weil intrinsisch, einfach akzeptiert werden muss.
Dieser Widerspruch gierige Intelligenzen entwickeln zwangsläufig kriminelle Strukturen, die keineswegs akzeptiert werden müssen wird vom Autor in Anlehnung an Kant (Zum ewigen Frieden) mit Hobbes Leviathan in Beziehung gesetzt ( wer setzt dem Leviathan die Grenzen ) und syllogistisch einwandfrei gelöst.
Hut ab!
Wie neoliberalistische Krisenbewältigung tatsächlich aussieht, wird uns in ironischen Vergleichen anschaulich präsentiert. Beispiel: Ein fahrlässiger Arzt, dessen Patienten aufgrund seiner völlig falschen Behandlung in geringer Anzahl und nur durch Zufall überlebt haben, fordert die Akzeptanz der Richtigkeit seiner Methoden, um noch mehr Schaden anrichten zu können.
Im 2. Kapitel wird das zyklische Auftreten von Wirtschafts- und Finanzkrisen mit Krisen- und Katastrophenszenarien in der Natur verglichen und erläutert, wie im Bereich der natürlichen Schwankungen (Fruchtbarkeit Dürre, Überfluss Mangel) durch konstruktive menschliche Gegenmaßnahmen (Vorratsspeicherung, Handel) Vorsorge für künftige Krisen getroffen wurde. Mit dem Eintreten des Finanzwesens in die wirtschaftlichen Abläufe wurden nicht nur die Krisen-Folgen potenziert, sondern spekulative Möglichkeiten zur Erzeugung von Gewinn durch Krisen geschaffen und an die Stelle konstruktiver Überschuss- und Rücklagenpolitik gesetzt. Aus diesen Gründen nahmen Krisen ab dem 20. Jahrhundert annähernd kollapsartige, unbeherrschbare Auswirkungen an.
Die Bretton Woods Vereinbarungen (Kapitel 3) sollten Abhilfe schaffen, wurden aber bekanntermaßen nicht nach Keynes Vorschlag gestaltet: Statt Überschüsse in produktionsschwache Regionen zu reinvestieren, um ausgeglichene Haushaltspolitik (die Basis eines funktionalen Kapitalismus) zu ermöglichen, wurden diese in dieselben Ausbeutungsstrukturen der Hegemonialmacht USA, die zur Weltwirtschaftskrise 1929 geführt hatten, umgeleitet, unter anderem mit Hilfe des (grundsätzlich konstruktiven) Marshall-Plans globalisiert und damit war die Basis für alle zukünftigen Finanz- und Wirtschaftskrisen geschaffen.
Der Dollar-Unterstützung der Verlierermächte des 2. Weltkriegs lag kein New-Frontier-Plan (Kennedy) oder Great-Society-Plan (Johnson) zugrunde, sondern sie diente der Absicherung der globalen Dominanz des US-Kapitalismus und erklärt auch das hohe Interesse der USA an gegenwärtigen Freihandelsabkommen.
Voller Begeisterung und Neid verfolgte die restliche Welt (Kapitel 5) den Aufstieg der USA zur Wirtschafts-Supermacht, ohne zu durchschauen, dass Amerika (ab 1970) die eigene Wirtschaft und Arbeiterschaft austrocknen ließ, sich dafür aber in exorbitantem Ausmaß an Fremdkapital bediente. In der Gier nach Gewinnsteigerung wurden desaströse Finanzprodukte geschaffen, die, obwohl rational wertlos und hochriskant, mit Hilfe paralogistischer Theorien zu begehrten Anlageformen wurden, die sich weltweit in ungeahnten Mengen verkaufen ließen.
Die von der Wall-Street erzeugten finanziellen Gewinnlawinen an die reichen Eliten führten zu zerstörerischen Firmen-Fusionen und Blasenbildungen, von deren negativen Auswirkungen die Verursacher aber nicht betroffen waren, sondern wie gewohnt die Schicht der Arbeitnehmer am unteren Ende der Pyramide.
(Das gegenwärtige Horten und Akkumulieren von Überschüssen in Privatvermögen entspricht nicht der kapitalistischen Basisideologie, sondern charakterisiert den Feudalismus - ein despotisches Herrschaftssystem, das seine Unbrauchbarkeit bereits hinlänglich bewiesen hat; Anm. d. Rez.)
Während Kapitalgewinne explodierten, brach die Kaufkraft der arbeitenden US-Bevölkerung durch Lohnsenkung ein. Statt dem entgegenzuwirken wurde das Konsumangebot für Unter- und (verkümmernde) Mittelschicht auf Billigprodukte umgestellt, was nicht nur in den USA, sondern auch in anderen Herstellerländern für Lohnkürzungen und weitere Verarmung sorgte. Zur Verschleierung dieser Tatsachen wurden großzügig unbesicherte Kredite speziell für Immobilien an Privatpersonen vergeben und die Risiken dafür in den bereits genannten Anlageformen weltweit verteilt. Die Politik im Rest der Welt hielt diese Illusionen für geniales Finanzmarketing und übernahm die Strukturen bereitwillig, bis das fundamentlose Konstrukt im Jahr 2008 platzte, nach heutigem Stand Millionen Menschen in Arbeitslosigkeit, Verarmung und Not stürzte und Billionen an volkswirtschaftlichem Vermögen (Steuergeld) an reiche Eliten umleitete.
Die von den Verursachern erwünschte Wirkung war erzielt worden: Neoliberal orientierte Investorengruppen hatten die Weltwirtschaft in den Griff bekommen und die Finanzkrise entfaltete sich für sie als Gewinn, da die Politik der betroffenen Länder alles daransetzte, die Vermögen dieser Investoren und ihrer Vermögensverwalter (Banken) zu retten.
Obwohl eigentlich bekannt, verfolgt man kopfschüttelnd die konzertierten politischen Reaktionen der betroffenen Staaten und kann zum ungezählten Mal nicht verstehen, wieso die einzigen Bestrebungen demokratisch gewählter Politiker darin bestanden haben, einen menschenverachtenden, wohlstandsfeindlichen Finanzsektor, der gerade seine Untauglichkeit in jeder vernunftbezogenen Hinsicht unter Beweis gestellt hatte, in derselben zerstörerischen Form wieder aufzubauen, wie er vorher existiert hat, obwohl sie genau zu diesem Zeitpunkt alle erdenklichen Möglichkeiten, etwas Konstruktives zu schaffen, in der Hand gehabt hätten.
(Dass ein Finanzminister Varoufakis mit derart realitätsblinden EU-Kollegen Verständigungsprobleme hat, ist klarerweise unvermeidbar; Anm. d. Rez.)
Das Kapitel endet mit einer hochinteressanten Schlussfolgerung: Das Bankenwesen hat ein hässliches Paradoxon geschaffen, indem es den erfolgreichen Weg der sozialen Marktwirtschaft gegen die Direktive Macht durch Erfolglosigkeit und Sozialabbau ersetzt hat: die Herrschaft der bankrotten Banken.
Nachdem diese durch Steuergelder ihre Liquidität zurückbekommen hatten und bereits an neuen toxischen Finanzprodukten bastelten, bekamen sie unerwartet zusätzliche Hilfe von ihren Regierungen (Kapitel 7), welche auf den pathologischen Gedanken gekommen waren, jene Geschäftsstrukturen, die zur Krise geführt hatten, nun auch auf staatlicher Ebene zu nutzen. Als Beispiele dafür werden unter anderen EFSF und ESM durchleuchtet, die in ihrer Struktur den ruinösen CDOs gleichen und so wie diese weltweit als toxische Bonds mit allen riskanten Nebenwirkungen (Wetten) gehandelt werden. Unglaublich ist die Tatsache, dass Banken und Hedgefonds für die Wetten auf ein Scheitern der EZB-Finanzhilfen die zur Bankenrettung ausgegebenen Steuergelder verwendeten und damit die Kreditzinsen für angeschlagene Länder erhöhten, das Kreditangebot für Unternehmen verringerten und die Neuverschuldung aller Staaten in die Höhe trieben.
(Wie dumm, gewissenlos oder unmoralisch kann man eigentlich sein?, fragt sich da der parteifreie Leser; Anm. d. Rez.)
Damit legitimierten die Regierungen nicht nur die räuberischen Strategien der Banken, sondern stellten sich mit ihnen auf dieselbe Stufe.
Im letzten Kapitel wird resümiert: Wirtschaftliche Stabilität und Wachstum kann es nur geben, wenn Überschüsse in den Wirtschaftskreislauf reinvestiert werden (Keynes).
Respekt.
Die Wahre Geschichte der Finanzwirtschaft
Bewertung aus Zwickau am 23.03.2015
Bewertet: Buch (Kunststoff-Einband)
Ein sehr gutes Buch über die Finanzwirtschaft.
Sehr verständlich aufbereitet.
Für jeden, der Sich mit den Funktionen der Finanzwirtschaft / Wirtschaft auf der Welt vertraut machen möchte ein muss.