Resi hätte wissen können, dass ein Untermietverhältnis unter Freunden nicht die sicherste Wohnform darstellt, denn: Was ist Freundschaft? Die hört bekanntlich beim Geld auf. Und Resi hätte wissen können, dass spätestens mit der Familiengründung der erbfähige Teil der Clique abbiegt Richtung Eigenheim und Abschottung und sie als Aufsteigerkind zusehen muss, wie sie da mithält. Aber Resi wusste’s nicht. Noch in den Achtzigern hiess es, alle Menschen wären gleich und würden durch Tüchtigkeit und Einsicht demnächst auch gerecht zusammenleben. Das Scheitern der Eltern in dieser Hinsicht musste verschleiert werden. Darüber ist Resi reichlich wütend. Und entschlossen, ihre Kinder aufzuklären, ob sie’s wollen oder nicht.
Ausstattung: Pepper: Preis der Leipziger Buchmesse
Ich gebe es ja nur ungern zu, aber ich hätte dieses Buch normalerweise weder gelesen noch gehört, weil ich Titel und Cover einfach nur doof fand. Auch der Klappentext hatte mich nicht wirklich überzeugt. Aber nun hatte ich mich vor kurzem mit einem Freund darüber unterhalten, warum er den Prenzlauer Berg nicht mag. Er hat mir empfohlen,
die Bücher von Anke Stelling, speziell „Schäfchen im Trockenen“, zu lesen. Und das hat mich so neugierig gemacht, dass ich mir die Geschichte jetzt als Hörbuch-Download von der Autorin selbst ungekürzt hab vorlesen lassen.
Zum Inhalt muss ich hier nichts weiter schreiben. Ich habe das Gefühl, dass die Autorin den Klappentext selbst geschrieben hat, denn der Text entspricht genau der Art, wie die Autorin ihre Geschichte erzählt.
Es ist eigentlich eine Abrechnung Resis mit ihren alten Freunden, die wie sie im Schwabenländle aufgewachsen sind. Und es ist ein Appell an ihre Tochter Bea, dass sie nicht das Leben leben soll, was ihre Mutter nicht geschafft, sich aber gewünscht hätte. So hat sie es nämlich selbst gegenüber ihrer Mutter empfunden. Und so hört sich da ganze Buch an, als ob die Ich-Erzählerin Resi ihrer Tochter einen Leitfaden für das Leben erzählt. Darin gibt sie ihr Ratschläge, was sie nicht tun soll. Erzählt ihr aber auch sehr genau über ihre eigene Kindheit und Jugend, über die Clique, mit der sie zusammen nach Berlin gezogen ist, erzählt von ihrem Leben und ihren Problemen. Ein ganz großes Problem ist, dass sie von ihrem früheren Freund Frank ein Schreiben bekommen hat, indem dieser ihr mitteilt, dass er die Wohnung, in der sie und ihr Mann leben, gekündigt hat. Resi, ihr Mann und ihre vier Kinder haben also keinen eigenen Mitvertrag, sondern sind von dem Freund abhängig. Und so werden sie gezwungen sein, sich eine neue Wohnung zu suchen. Aber wer kann sich schon eine bezahlbare Wohnung innerhalb Berlins innerem Kern leisten, wenn er vier Kinder hat, der Vater Künstler ist und man selbst freiberufliche Journalistin und Autorin?
Mich hat diese Geschichte fasziniert. Und anders als ein anderer Leser dieses Buches, empfand ich nicht, dass Resi sich zum Opfer macht, obwohl ihr dies auch ihre früheren Freunde vorhalten. Resi kommt aus einer einfachen Familie. Sie ist in den achtziger Jahre zur Schule gegangen. In dieser Zeit hat man versucht, dass die Kinder aus unterschiedlichen Schichten alle gleichberechtig sind. Dies ist auch die Zeit, in der Arbeiterkinder endlich auch Abitur machen und studieren können. Es hört sich theoretisch ja auch alles ganz fein und richtig an. Aber Probleme kommen schon dann auf, wenn der Rest der Clique aus Familien mit mehr Geld stammen. Die kommen dann schon mal auf die Idee, mal eben ein Wochenende in die Berge zum Ski fahren zu fahren. Nur wie soll Resi das machen? Und so geht es dann irgendwann auch in dem Erwachsenenleben weiter. Erst lebten sie alle glücklich und mietfrei in dem Mietshaus, welches dem Vater von einem aus der Clique gehörte. Sie leben als Gruppe zusammen. Und als sie endlich alle etabliert sind, verheiratet und Kinder haben, beginnt eine neue Planung. Ein eigenes Haus für die Gruppe muss her. Zum Glück haben inzwischen ja alle coole Jobs, die ordentlich Geld einbringen. Also kann das Haus nach ganz eigenen Wünschen gebaut werden. Doch das ist zu dem Zeitpunkt, in dem das Buch spielt, schon Geschichte. Inzwischen leben alle außer Resi und ihrer Familie in dem neuen gemeinschaftlichen Haus in tollen Wohnungen. Nur Resi und ihre Familie konnten es sich nicht leisten. Und dann hat Resi einen Fehler gemacht. Sie hat ein bitterböses Buch über ihre Freunde geschrieben, und das können diese nicht verzeihen.
Ich finde, dass dieses Buch eine gute Abrechnung mit einer bestimmten Klientel unserer Zeit ist. In jungen Jahren sind wir alle ach so engagiert. Wir wollen garantiert nicht die Fehler unserer Alten (Eltern) machen und uns von dem System einkassieren lassen. Wir machen alles gemeinsam und sch... auf das kommerzielle System. Doch nach dem Studium bekommen einige dann doch die Sahne-Jobs und scheffeln richtig Kohle. Plötzlich werden sie fast so wie ihre Eltern. Und wenn sie dies gemeinsam werden, niemand ausschert, dann kann es mit der Kommune oder Wohngemeinschaft auch gerne weitergehen. Aber jetzt natürlich bitte mit Stil und notariell abgesichert. Schade, wenn ein Teil ausschert und sich wirklich treu bleibt. Dieser Teil ist dann plötzlich ein Stachel im Fleisch und zeigt, wie verdammt angepasst man inzwischen geworden ist. Und wehe, dass das Ganze dann auch noch öffentlich gemacht wird!
In dem Roman sehen wir natürlich nur die eindimensionale Sicht von Resi. Wir wissen nicht, ob während der Planungsphase vielleicht auch durchaus akzeptable Vorschläge für sie und ihre Familie gemacht wurden, wie z.B. eine Mietwohnung, die einer der anderen ihnen anbieten könnte. Wäre steuerlich sicherlich absetzbar.
Auch für mich wäre so eine Hausgemeinschaft eigentlich ein Traum, aber bei Geld hört wohl tatsächlich die Freundschaft auf! Und so wird es dann wohl doch ein Traum bleiben.
Und jetzt weiß ich auch, was mein Freund für Probleme mit den Bewohnern des Prenzlauer Bergs hat. Es sind offensichtlich zumeist Menschen dieser Generation und dieser Gesellschaftsschicht, die vielfach egoistisch und scheinheilig sind. Sie geben sich ach so liberal und sind inzwischen doch selbst Teil des Establishments.
Das Buch hat einen durchaus einen sehr trockenen Humor. Es hat mir viel Spaß gemacht, diese Geschichte zu hören. Die Autorin hat es hervorragend vorgetragen. Ich konnte das Ganze direkt nachfühlen. Nun bin ich auf ihr nächstes Buch gespannt und auch „Bodentiefe Fenster“ interessiert mich jetzt.
Schäfchen im Trockenen
Bewertung am 11.11.2021
Bewertungsnummer: 1604447
Bewertet: Buch (Gebundene Ausgabe)
Erbarmungslos reißt Resi die Pflaster von den gesellschaftlichen Wunden. Und das tut weh! Ihre Lektion hat sie ganz schnell gelernt. Jetzt lernt sich auch ihre Freunde ganz schnell kennen. Sie lernt, wie schnell man sich in deren Augen schuldig macht, wenn man seine Zweifel und sein Unbehagen offen äußert.Ein mutiger und erfrischend ehrlicher Roman dem ich viele LeserInnen wünsche.