Wie wir uns als Ost- und Westdeutsche im Wahnsinn des Alltags auf das Wesentliche besinnen
Zwischen Konsum- und Selfie-Wahn, Selbstoptimierung, Ichbezogenheit und dem Schwelgen in Luxusproblemen macht Michael Nast deutlich, wie zahlreich die Missverständnisse zwischen Ost und West im Alltag immer noch sind. Heiter, philosophisch und nachdenklich, zeigen uns seine Anekdoten eine Welt, in der das Miteinander immer mehr in den Hintergrund gerät.Wo sind eigentlich die Werte, nach denen wir leben wollen?
"Vom Sinn unseres Lebens" hieß das Buch, das Michael Nast feierlich zur Jugendweihe überreicht bekam. 30 Jahre nach dem Mauerfall nimmt er es zum Anlass, über dieses Ereignis und den Titel nachzudenken. Das Leben steckt voller Skurrilitäten und Widersprüche, die kaum hinterfragt werden, weil wir uns an sie gewöhnt haben. In unserem gefüllten, aber nur selten erfüllten Alltag übersehen wir oft, worauf es eigentlich ankommt. Nast beleuchtet unsere zwischenmenschlichen Beziehungen und das Verhältnis zwischen Ost und West, das in unserer Gesellschaft noch immer ein Thema ist. So vergeblich, wie Nast damals in der DDR-Bibel nach Antworten gesucht hat, so irritiert steht er noch heute mitunter vor dem alltäglichen Wahnsinn unserer schnelllebigen Welt.
Bücher über die Wendezeit bzw. das Ost-/West-Verhältnis in Deutschland haben zurzeit wieder Hochkonjunktur. 30 Jahre nach dem Mauerfall macht sich der zeitkritische Bestsellerautor Michael Nast daran herauszufinden, inwiefern Deutschland mittlerweile zusammengewachsen ist und was sich bis heute verändert hat. Nast, der selbst aus Ostdeutschland stammt, begibt sich anlässlich seiner Zusammenschau immer mal wieder auf Zeitreise in die eigene Vergangenheit/Sozialisation. Dabei beklagt er das gegenwärtige entartete Konsumverhalten, den Verlust von echten Freundschaften und Nachbarschaftsverhältnissen in Zeiten von Instagram, Twitter & Co und die damit einhergehende Vereinzelung in den Großstädten. Dabei verherrlicht er seine eigene DDR-Kindheit nicht, betont aber positive Errungenschaften, wie den Zusammenhalt, die kostenlose medizinische Versorgung oder die billigen Mietpreise. Auch die zunehmende Ablenkbarkeit sowie der Dokumentationszwang von Smartphonebesitzern ist ihm, dem 1975 Geborenen, ein Gräuel. Des Weiteren beschreibt er, wie er seine Herkunft aus Ostberlin lange verheimlichte, um nicht länger der Quotenossi sein zu müssen. Viele von Nasts persönlichen Erlebnissen und gegenwärtigen Beobachtungen kann ich als Ostkind unterschreiben. Zudem gefiel mir sein lockerer und damit gut lesbarer Schreibstil sehr. Authentisch erzählt er Geschichten über die immer noch bestehenden Missverständnisse in Deutschland, wobei mir gefiel, wie er seine ehrliche Meinung und Gedankengänge aus seinen bisherigen Veröffentlichungen in den Fließtext einbrachte. Insgesamt empfand ich seine Ausführungen als ungeheuer aktuell und aufschlussreich in Sachen Ost- und Westdeutschland.
Können DDR-Werte unsere heutigen Gesellschaftsprobleme lösen?
Bewertung aus Magdeburg am 01.10.2019
Bewertungsnummer: 1250882
Bewertet: Buch (Taschenbuch)
„Wenn man ehrlich ist, ist die DDR nicht gescheitert, weil es den Leuten um Demokratie ging. Es ging Ihnen um Materielles, um ihren Lebensstandard. Die meisten interessierten sich nicht wirklich für ihre Bürgerrechte, sie wollen das Recht auf Konsum. (…) Unsere Freiheit ist die Freiheit des Konsums. Wenn wir klüger einkaufen, wenn wir nachdenken, bevor wir einkaufen, wenn wir gewisse Produkte nicht mehr kaufen, zwingen wir die Hersteller dazu, umzudenken. (S. 103)
Michael Nast, ein berliner Bestsellerautor, beschreibt in seinem neusten Werk mit dem langen (und sperrigen) Titel: „Vom Sinn unseres Lebens und andere Missverständnisse zwischen Ost und West“ Erlebnisse aus seinem Leben und vergleicht dabei die Situation in der DDR mit den brennenden Themen der heutigen Gesellschaft. Konsumverhalten, rechte Tendenzen und die Anonymisierung in der Großstadt thematisiert der Autor und bringt dabei Anekdoten aus seinem eigenen Leben sowie Erlebnisse von Freunden, Familie und Bekannten ein.
Er vergleicht in 19 kurzweiligen Kapiteln seine Erlebnisse kurz vor der Wende und danach bis in die heutige Zeit. Vorurteile über Ostler werden dabei genauso beschrieben wie die Reaktionen darauf. Vorurteile von Ostlern an Westlern werden allerdings eher vernachlässigt.
Dabei greift Michael Nast immer wieder auf eigene Erfahrungen zurück. Die ersten 14 Jahre seines Lebens verbrachte er in der Deutschen Demokratischen Republik und machte lebenseinschneidende Erfahrungen in Kindertagesstätten, Urlaubsorten und auf Demonstrationen – mal positive, mal negative Erlebnisse, aber immer mit einer Portion Humor.
Sehr gute Ansätze lassen sich zum Thema Konsumkritik finden, beispielhaft dafür das vorangestellte Zitat. Nasts Gedankengänge sind schlüssig erzählt, unterhaltsam und aufschlussreich. An ein paar Stellen hätten die Gedankengänge allerdings noch ausgereifter sein können, einfach noch um eine Ecke weiter gedacht. Er stellt die These auf, dass die Rückbesinnung auf die, in der DDR vorgelebten, Werte unsere heutigen Gesellschaftsprobleme lösen könnten – Stichpunkt Konsum, Nachbarschaft und Gemeinschaft.
Aus der Sicht einer fast zehn Jahre nach der Wiedervereinigung geborenen Deutschen kann ich behaupten, dass mir dieser Erfahrungsbericht einiges Neues über die DDR berichtet hat, was mir bisher im Unterricht oder von Familienmitgliedern nicht erzählt wurde. Ich konnte mich in einige Situationen hineinversetzen, doch prinzipiell würde ich das Buch für ein älteres Publikum empfehlen. Diejenigen werden sich sicherlich in der ein oder anderen Anekdote wiederfinden und zum Erinnern angeregt.
In die Erlebnisse, die der Autor in der heutigen Zeit gemacht hat, kann ich mich eins zu eins wiederfinden. Ob überteuerte Wohnungen, Konsumwahn oder die zunehmende Anonymisierung in der Nachbarschaft, Nast analysiert und kritisiert top-aktuelle Themen.
Abschließend muss ich anmerken, dass mir der Titel nicht ganz zum Inhalt passt. Den Bezug zum DDR-Jugendweihe Buch verstehe ich, doch der Untertitel finde ich schlecht gewählt. Er mach ausschließlich über einen Teilaspekt des Buches aufmerksam. Ein Blick auf den Klappentext ist hier dringend nötig.
Fazit:
Ein vielseitiger, Anekdoten-reicher Bericht über die Wiedervereinigung, DDR-Werte und die heutigen Gesellschaftsprobleme – interessant, unterhaltsam und top-aktuell. Ob nun die DDR-Werte unsere heutigen Gesellschaftsprobleme lösen können, sei dahin gestellt, doch es lohnt sich auf jeden Fall mal darüber nachzudenken.
„Vom Sinn unseres Lebens. Und andere Missverständnisse zwischen Ost und West.“ | Michael Nast| Edel Books Verlag| erschienen am 06.09. 2019| 207 Seiten|