Selbstsicheres Auftreten und die Beherrschung von Small Talk sind nicht alles. Susan Cains glänzendes Plädoyer für die Qualitäten der Stillen.
"Ein leerer Topf klappert am lautesten". Aber wer der Welt etwas Bedeutendes schenken will, benötigt Zeit und Sorgfalt, um es in Stille reifen zu lassen. "Still" ist ein Plädoyer für die Ruhe, die in unserer Welt des Marktgeschreis und der Klingeltöne zu verschwinden droht. Und für leise Menschen, die lernen sollten, zu ihrem "So-Sein" zu stehen. Ohne sie hätten wir heute keine Relativitätstheorie, keinen "Harry Potter", keine Klavierstücke Chopins, und auch die Suchmaschine "Google" wäre nie entwickelt worden. "Still" baut eine Brücke zwischen den Welten, kritisiert aber das gesellschaftliche Ungleichgewicht zugunsten der Partylöwen und Dampfplauderer. Es herrscht eine "extrovertierte Ethik", die stille Wasser zwingt, sich anzupassen oder unterzugehen. Ihre Eigenschaften - Ernsthaftigkeit, Sensibilität und Scheu - gelten eher als Krankheitssymptome denn als Qualitäten. Zu unrecht, sagt Susan Cain, und stellt sich gegen den Trend, der "selbstbewusstes Auftreten" verherrlicht. "Still" ist das Kultbuch für Introvertierte, hilft aber auch Extrovertierten, ihre Mitmenschen besser zu verstehen.
„In einer lauten Welt werden stille Menschen meist überhört“
Dieser Satz machte mich gleich neugierig. Er richtete gleich einen Scheinwerfer auf viele traurige und unbefriedigende Situationen aus der Kindheit und Jugend.
Die geschichtliche und wissenschaftliche Ausarbeitung und Aufbereitung von Frau Cain machte mir schnell deutlich, dass ich nicht uninteressant, zu langsam und ohne Ideen bin. Nein, ich bin introvertiert. Die stillen Denker überstürzen nichts, sondern reflektieren erst einmal gründlich über das Für und Wider und planen im Stillen.
Den Eindruck bzw. eine Ahnung, dass ich introvertiert bin hatte ich schon länger, aber mit meinem Selbstbild kam ich mir in meiner Umgebung schon sehr ohnmächtig vor. Auch war mir seit einigen Jahren klar, dass ich sehr gut zuhören kann, dass mir aber meist keiner oder keine richtig zuhörte, weil laute extravertierte Menschen das Zuhören verlernt haben oder aber die Oberflächlichkeit ließ kein Zuhören zu.
Dieses Buch ist wichtig und sollte vor allem von jungen Menschen in ihrer Entwicklungsphase gelesen werden, um schon früh zu erkennen, dass ihre Introvertiertheit kein Makel, sondern eine Chance ist, die wahrgenommen werden will.
Dieses Buch hat mir viele Fragen beantwortet
Bewertung am 06.03.2022
Bewertungsnummer: 1670014
Bewertet: Buch (Taschenbuch)
Auf dieses Buch bin ich durch das Buch „Der Guide für Introvertierte, um ein angsteinflößend abenteuerliches Leben zu führen“ von Jessica Pan gestoßen. Sie hat es in ihrem Ratgeber immer wieder zitiert.
„Still“ von Susan Cain ist nun kein so leicht lesbares Buch wie der Ratgeber von Jessica Pan. Dafür liefert es fundiertes Hintergrundwissen zum Thema Introversion versus Extraversion. Die Autorin geht in der Geschichte zurück, befragt verschiedenste Psychologen, die zu dem Thema geforscht haben und gibt praktische Tipps, wie man mit dem Thema umgeht – sowohl für Betroffene als auch für Personen, die mit introvertierten Menschen zusammenleben, zusammenarbeiten oder sie als Kinder in Kindergarten oder Schule betreuen. Mir hat dieses Buch sehr viel neues Informationen geliefert, und ich bin mir über einiges mich selbst betreffend klargeworden.
Susan Cain hat ihr Buch in vier Teile unterteilt. Im Teil I nimmt die Autorin uns mit auf einen raschen Durchgang durch unsere extravertierte Gesellschaft und gönnt uns einen Rückblick auf die Geschichte. Denn zu Beginn des 20. Jahrhunderts hat es in den USA und auch anderswo eine Wende gegeben. Die Charakterkultur hat sich in eine Persönlichkeitskultur verwandelt. Dazu beigetragen haben u.a. Menschen wie Dale Carnegie, Persönlichkeitstrainer und die Harvard Business School. Es war plötzlich wichtig, dass man sich möglichst gut verkaufen konnte. Und dazu musste man aktiv vorgehen und sich verbal möglichst in einem guten Licht darstellen. Auf die Inhalte kam es seitdem nicht mehr so an.
Der Teil II versucht den biologischen Unterschieden auf den Grund zu gehen. Und dabei auch feststellen, dass es in unterschiedlichen Ländern auch Unterschiede gibt, wie introvertierte und extravertierte Menschen wahrgenommen werden.
Der Teil III ist der praktische Teil, in dem Susan Cain den Lesern und Leserinnen Hilfestellungen gibt.
Und der Teil IV ist eine Ergänzung zur Taschenbuchausgabe, in dem es weitere praktische Tipps gibt.
Dieses Buch gibt viele Einblicke in das für und wider von Großraumbüros und Einzelbüros, von Gruppenarbeit, Brainstorming und Kleinstgruppen und davon, wie man von beiden Gruppen jeweils das Beste für die Unternehmen herausholt. Es ist aber kein Buch, was sich nur an Arbeitgeber wendet. Auch Betroffene und Interessierte finden viele interessante und erhellende Untersuchungen, die Susan Cains mit praktischen Erfahrungen einzelner Menschen veranschaulicht.
Interessant und erschreckend fand ich, dass die Introversion zusammen mit ihren Attributen der Empfindsamkeit, Ernsthaftigkeit und Schüchternheit bis heute als Persönlichkeitsmerkmale zweiter Klasse gelten. Sie werden eher geringgeschätzt, und ihre Merkmale galten lange als enttäuschend bis pathologisch, d.h. dass sie als krank galten. Und das ist noch nicht lange her, bzw. wird auch teilweise noch heute angenommen. Bei vielen Bewerbungen haben introvertierte Menschen Schwierigkeiten die Stelle zu bekommen. Das bedeutet, dass viele introvertierte Menschen versuchen sich extravertiert zu geben. Aber das kostet viel Kraft, und es kann passieren, dass diese Menschen irgendwann unter diesem Druck zusammenbrechen.
Ich habe durch dieses Buch viel über mich gelernt. Und ich weiß jetzt auch, woher meine Probleme und Schwierigkeiten kommen. Ich lebe und arbeite als introvertierter Mensch in einer extravertierten Welt. Außerdem fehlt mir während meiner Arbeitszeit immer einmal wieder die Möglichkeit mich zu einer Ruhepause zurückzuziehen, um erneut Kraft tanken zu können.